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Sierra Leones Juntachef will seine Haut retten

■ Nigeria verhandelt und bereitet zugleich Vertreibung der Putschisten vor

Berlin (taz) – Der Militärputsch im westafrikanischen Sierra Leone steht offenbar vor dem Ende – acht Tage, nachdem eine Armeetruppe unter Führung des von Soldaten aus dem Gefängnis befreiten Majors Johnny Koroma den gewählten Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah gestürzt hatte. Wie gestern nachmittag aus Diplomatenkreisen in der Hauptstadt Freetown verlautete, ist bei Verhandlungen eine Einigung über die Rückkehr Kabbahs an die Macht erzielt worden.

„Verhandlungen“ ist dabei ein Euphemismus für massiven politischen und militärischen Druck der westafrikanischen Regionalmacht Nigeria, die mit Kabbah eng verbündet ist. Seit Mittwoch hat Nigeria sein Truppenkontingent in Sierra Leone auf 3.000 Mann verstärkt. Aus dem Nachbarland Guinea haben 1.500 Soldaten die Grenze überschritten und sich mit nigerianischen Einheiten in der nördlichen Stadt Kenema zusammengetan. Am Wochenende flog auch Ghana Soldaten mit Panzern und schweren Waffen nach Freetown. Internationale Organisationen von UNO über Commonwealth bis zur „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU), deren Jahresgipfel heute in Simbabwe beginnt, haben eine Militärintervention zur Vertreibung der Putschisten bereits gutgeheißen.

Die Interventionsplanung sieht offenbar so aus, daß nach dem Abschluß der Evakuierung aller in Sierra Leone lebenden Ausländer – die letzten wurden gestern aus dem Land geholt – nigerianische Soldaten in die Hauptstadt vorstoßen, während Truppen aus Guinea auf dem Landweg anrücken und das Kontingent aus Ghana den Flughafen sichert. Unter dem Eindruck dieses Szenarios fanden in Nigerias Botschaft in Freetown unter britischer und ghanaischer Vermittlung Verhandlungen mit einer Delegation der Putschisten statt. Das Thema war ganz einfach: Entweder Koroma geht freiwillig – oder er wird verjagt.

Wenn Koroma klug verhandelt hat, darf er jetzt ausfliegen, und Kabbah kommt wieder an die Macht. Als Kanonenfutter draufgehen werden dann die Kämpfer der Guerillabewegung RUF („Revolutionäre Vereinigte Front“), die sich mit Koromas Junta solidarisiert hat. RUF-Führer Foday Sankoh, der in Nigeria unter Hausarrest steht, sagte letzte Woche, die RUF sei „eins“ mit der Armee. Mehrere hundert RUF-Buschkämpfer zogen daraufhin in Freetown ein, wo sie zusammen mit Soldaten an Plünderungen teilnahmen. Ein weiterer Verbündeter Koromas, dessen politische Karriere jetzt beendet sein dürfte, ist der Altpolitiker John Karefa- Smart, der im März 1996 bei den Präsidentschaftswahlen gegen Kabbah verloren hatte. Er warnte am Freitag im Staatsrundfunk als „besorgter Sierra-Leoner“ vor ausländischen Invasoren.

Aber bei der Alternative Militärjunta oder Intervention fällt der Bevölkerung von Sierra Leone die Wahl leicht. Seit dem Putsch ist Freetown von Plünderern gründlich verwüstet worden. Trotz einer Anweisung der Putschisten haben Läden und Büros in der Hauptstadt immer noch nicht wieder geöffnet. Wer noch ein Auto hat, läßt die Luft aus den Reifen, damit es nicht gestohlen wird. In Bo, der zweitgrößten Stadt des Landes im Südosten, demonstrierten vor wenigen Tagen 8.000 Menschen gegen die Armee. So wird kaum jemand Koromas Junta eine Träne nachweinen. Dominic Johnson

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