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Tansu Çiller darf noch ein bißchen regieren

■ Die türkische Außenministerin und Ministerpräsident Erbakan einigen sich auf vorgezogene Wahlen. Doch vorher will Çiller noch einmal an die Regierungsspitze

Istanbul (taz) – Die TürkInnen dürfen wieder einmal wählen. Die Regierungskoalition habe sich auf vorgezogene Wahlen geeinigt, teilte der islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan gestern auf einer Pressekonferenz mit. Zuvor hatte er mehrere Stunden hinter verschlossenen Türen mit der konservativen Außenministerin Tansu Çiller verhandelt. Einen Wahltermin nannte Erbakan zunächst nicht. Am Wochenende war in Ankara jedoch spekuliert worden, die Wahlen könnten bereits im Oktober stattfinden.

Vor einem solchen Urnengang soll noch einen Wechsel in der Regierungsspitze geben. Sie werde noch Ende Juni von Erbakan den Posten des Ministerpräsidenten übernehmen, erklärte Çiller gestern nach ihrer gemeinsamen Unterredung. Im Gegenzug soll Erbakan gefordert haben, den Wahltermin möglichst früh zu legen.

Die Vorteile, als Ministerpräsident/in in den Wahlkampf zu ziehen, sind in der türkischen Politik beachtlich. So kann die Regierung den Regionen zahlreiche Pfründen und Finanzmittel zusagen – um dafür den Zuspruch der dortigen WählerInnen zu bekommen. Ob die jetzige Regierungskoalition allerdings den Wechsel der Ministerpräsidentschaft überlebt, ist fraglich. Auch ein neues Bündnis der alten Partner benötigt ein Vertrauensvotum des Parlaments. Doch durch die Rücktritte zahlreicher Abgeordneter aus Çillers Partei des rechten Weges hat die Regierung die Mehrheit im Parlament verloren: Nur noch 275 der 550 Parlamentarier gehören zum Regierungslager. Um einem Mißgeschick bei der Vertrauensabstimmung vorzubeugen, haben sich die Koalitionspartner nun darauf verständigt, die kleine religiös-rechtsextreme „Einheitspartei“, die nur über sieben Abgeordnete verfügt, in die Koalition aufzunehmen.

Unbeindruckt von den anstehenden Wahlen, setzen die Militärs den Druck auf die Regierung fort. Auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats forderten sie am Samstag die Erfüllung des Maßnahmenkatalogs gegen theokratische Strömungen, der Ende Februar von dem gleichen Gremium verabschiedet worden war. Erbakan wurde im Hauptquartier des Generalstabs, wo die Sitzung stattfand, wie ein Aussätziger empfangen. Vor Beginn der geheimen Sitzung richtete der Generalsekretär des Rats, Ilhan Kiliç in einer öffentlichen Rede scharfe Worte an die Adresse Erbakans. „Der laizistische Charakter des Staates ist unantastbar“, donnerte der General unter dem Beifall der Uniformierten. Ömer Erzeren

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