„Am Anfang steht die Pöbelei“

■ Weinende Schüler, schimpfende Rentner- die Eröffnung der Wehrmachtsausstellung

Die Untere Rathaushalle ist zu klein für die Wehrmachtsausstellung. Zwei Meter Abstand, die braucht man schon für die Massaker der Sechsten Armee auf ihrem Rußlandfeldzug. Montagmittags um eins stehen die Leute, Schulter an Schulter. Im Rücken die Bilder vom Partisanenmord in Serbien - wer sich umguckt oder lacht.... Wieviele von ihnen, die sich da als Bremer Querschnitt vor den Tafeln aufreihen, haben sich längst von den Buchstaben und Fotos vor ihren Augen verabschiedet und lesen nur noch in sich hinein? „Mein Bruder“, sagt Meta Hildebrandt, „ich bin nämlich wegen meinem Bruder hier. Der war im Rußlandfeldzug. An Hinrichtungen hat er teilnehmen müssen. Darüber hat er einen Nervenzusammenbruch bekommen. Als er wieder raus war aus dem Krankenhaus mußte er nach Frankreich und schrieb mir: „Hier ist der Himmel auf Erden, wir essen Weintrauben den ganzen Tag.' Später ist er dann da umgekommen, kurz vor Schluß, Juni '44. Ich dachte, vielleicht finde ich ein Foto von ihm.“Auf der vergeblichen Suche nach dem Bruder hat die 88jährige mit ihrem Enkel einen kleinen Ausflug gemacht. Das ist schon okay so. Und zu Hause, in Oslebshausen, warten noch viele alte Bilder auf sie. Und die anderen Bilder, hier unten in der Rathauss halle? „Daß die Wehrmacht in Rußland Verbrechen verübte, das wußten wir doch damals schon. Dreißig Jahre alt war ich da. Die Kriegsurlauber aus Bremerhaven mußten an unserem Haus vorbei und kamen zum Telefonieren rein. Manchmal übernachteten sie und dann hörte man so einiges.“

Ein paar Bilder flüchten sich in unzählige Erzählungen. Überraschend ist vor allem die Bestätigung der Klischees: „Was sich ereignet“, so Jakob, vorn an der Kasse, „ist die Realisierung der Mediendebatte. Alle kommen sie. Genauso polarisiert, wie die Diskussion vorher ablief.“Aus der langen Reihe der müden Augen, der konzentrierten Blicke tritt einer nach vorn. Ran an die Bilder. Guckt, kniet nieder, guckt wieder. Im vereinzelten Versuch, den Stumpfsinn der Erinnerungsbilder aufzubrechen: „Hast du die Frau gesehen, wie sie sich an ihr Kind lehnt? Wie sie bei ihrem Kind Schutz sucht. Oder diese Frau im Pelz mit dem harten Blick. Die wissen genau was auf sie zukommt.“Sebastian heißt, der da kniet, und trägt eine wunderschöne blaue Klunckerkette. Man könne, sagt Sebastian und guckt zu seinem Freund rüber, Bilder besser behalten als Texte. Aber nur, wenn man sie liest. „Hast du“, fragt Sebastian, „das Foto ganz vorne gesehen. Mit dem alten Juden, dem gewaltsam der Bart geschnitten wird, und daneben ein Soldat im Feinripp, der sich sonnt!“

Auf akribische Bildlektüre baut auch Thomas Körcher vom Verein „Erinnern für die Zukunft“. In seinen vormittäglichen Führungen mit Bremer Schülergruppen erprobt er den kritischen Blick. Wie wär's mit einer Wissensfrage: „Woran erkennt man, ob dieser Mann zur Wehrmacht oder zur SS gehört?“Oft gibt er sich die Antworten selber. Nicht bei den Kleinen, die Siebtklässler fragen noch und geben munter Antworten ohne Sinn und Verstand. „Nicht daß die 12.-Klässler mehr wüßten“, lächelt Körcher, „aber sie schweigen lieber“. Schweigend stehen sie um den jungen Mann, die Frauen in erster Reihe, die Jungs tendenziell eher cool. In Körchers kleine Uniformenkunde platzt am heutigen Montag ziemlich unmotiviert ein Herr aus dritter Reihe: „Und warum sprechen Sie nicht vom Bombenterror gegen Dresden?“. 35 Jahre alt, angegraute Haare, rotes Hemd, Akzent: da haben wir ihn also, den Störenfried. Thomas Körcher bleibt erstaunlich ruhig, sagt „Sehen Sie, hier geht es nun mal um...“und eine Lehrerin herrscht dazwischen: „Wer hat denn mit dem Bombenterror angefangen?“Eine Schülerin schluchzt und wendet sich zwecks Beruhigung zur wunderbar neutralen eisenbeschlagenen Rathaustür - zwei Wortwechsel in ihrem Rücken beenden die Diskussion. Ganz schüchtern wendet sich der Störenfried ab, nein, seinen Namen wolle er nicht nennen, zu einer Organisation gehöre er auch nicht und außerdem müsse er jetzt nach Hause.

„So läuft das fast immer ab“, sagt Thomas Körcher. „Am Anfang steht eine Pöbelei: „Alle Verbrechen wurden von der SS und dem SD ausgeübt!' - und zack - weg sind sie. Oder sie bleiben noch einen Moment: Mal sehn, wie man reagiert. Zum Beispiel erzähle ich von den Verstößen gegen die Haager Landkriegsordnung und die sagen: Strafexekutionen sind darin aber erlaubt. Aber nicht an hundert Kriegsgefangenen, sage ich dann. Schon ist die Luft raus. Diese Leute wollen meistens nur hören, daß nicht jeder Wehrmachtsangehörige ein Verbrecher war. Bestätigt man ihnen das, dann sind sie gleich viel relaxter. Insofern ist man ein bißchen seelischer Mülleimer. Und wenn ich Zeit habe, spiele ich da auch mit. Und manchmal bleiben die dann sogar und gucken sich noch ziemlich lange um.“

Und treffen sich dann mit dem aufgeschlagenen Katalog am Ende der Ausstellung. Da, wo das kleine Cafe ist; wo die Bilder hängen und die Texte seltener werden. Zögernd suchen sie halb über den Katalog gebeugt mit kurzen Sätzen nach Gleichgesinnten. Nach Leuten, die ihnen ihre Bilder im Kopp mit den Fotos an den Wänden kompatibel machen: „Ich komm von Oldenburg her. Einfach mal gucken.“- „Der Steinhoff, hier, den kenn ich. Ein ganz scharfer Hund“. - „Bei welcher Einheit waren Sie denn?“

äff