Das erleuchtete Nashorn

Schluß mit dem Zittern der Zebras: Im Zoo praktiziert eine Tierärztin sanfte Medizin an Dickhäutern. Babytest ohne Streß per Infrarotkamera  ■ Von Bernhard Pötter

Für Kilaguni ist es wieder mal Zeit für die Schwangerschaftsuntersuchung. Gelassen läßt sie es über sich ergehen, daß der Techniker ihren Bauch durchleuchtet. Obwohl sie kurz vor der Entbindung steht, hat sie ihren Nachwuchs bisher vor der Außenwelt gut verborgen. Doch auf dem Bildschirm kommt es an den Tag: Ein großer heller Fleck zeigt den Fötus. Sabine Hilsberg, die Ärztin, ist zufrieden.

Die Vorsorgeuntersuchung findet in einem Freigehege des Zoologischen Gartens statt. Kilaguni ist eine 23jährige attraktive Spitzmaulnashorndame, die ihrer vom Aussterben bedrohten Art einen kleinen Hoffnungsträger hinzufügen wird. Menschliche Hilfe dabei lehnt die resolute Dame allerdings ab. Und weil Hausbesuche bei dem tonnenschweren Tier zu gefährlich und Narkosen zu riskant für das Nashorn sind, konnten die Veterinäre im Zoo bisher außer einer aufwendigen und teuren Untersuchung des Kots nicht viel mehr tun als – hoffen, warten und Wetten abschließen, ob bestimmte Tiere überhaupt trächtig waren.

Nun aber hat die sanfte Medizin im Zoo Einzug gehalten: In einem Pilotversuch durchleuchtet die Biologin und Tierärztin Sabine Hilsberg mit Hilfe einer Infrarotkamera die Tiere, um deren Trächtigkeit zu bestimmen. Für den bislang einmaligen Versuch massenhafter Schwangerschaftstests per Infrarotkamera hat Hilsberg im April den Preis für NachwuchswissenschaftlerInnen beim diesjährigen „Kongreß für Zoo- und Wildtierkrankheiten“ verliehen bekommen. Jetzt stehen internationale Zoos wie Zürich, Rotterdam und Chester Schlange, um die Tierärztin einzuladen, wenn sie ihre Untersuchungsmethode perfektioniert hat.

Die Idee ist einfach und kommt aus der Umwelttechnik: Mit einer Infrarotkamera, die sonst zum Aufspüren undichter Dächer oder defekter Stromkabel da ist, marschiert Andreas Lühr vom „Mobilen Umwelttechnik Zentrum“ (M.UT.Z) durch den Zoo. Die High-Tech-Kamera nimmt die Wärmeabstrahlungen auf und setzt sie in Farben um: Sie zeigt solche Tiere, die nicht durch eine dicke Fettschicht gegen Wärmeverlust isoliert sind, in allen Farben des Regenbogens: Blaue und grüne Flächen auf der Haut bedeuten relativ kalte Zonen, gelbe, rote und weiße Flecken signalisieren warme Füße oder heiße Ohren.

Tierärztin Hilsberg zieht daraus ihre Schlüsse: Ein Hitzeherd im Uterus, der auch bei der nächsten Messung nach vier Wochen noch sichtbar ist und wächst, bedeutet mit ziemlicher Sicherheit eine Schwangerschaft. Andere warme Flecken können auf Entzündungen, Druckstellen oder prallgefüllte Darmschlingen hinweisen.

Der Vorteil der Infrarotmethode für die Biologen: Sie müssen zur Paarungszeit, wenn die Tiere extrem aggressiv sind, nicht in die Nähe der Nashörner, Giraffen oder Elefanten. Der Vorteil für die Tiere: kein Streß durch Narkosen, Ultraschall oder Röntgenstrahlen.

Ein warmer Bauch läßt eine Trächtigkeit vermuten

Für die Umwelttechniker von M.UT.Z ist der Zoo neues Terrain. Sie wollen neben ihrer Umweltberatung in kleinen und mittleren Betrieben neue Anwendungsgebiete für ihre Technik ausprobieren. Dabei sind die Zoobesuche ein Pilotprojekt, um weitere Anwendungen für die Infrarottechnik zu testen. Möglich wäre zum Beispiel die exakte Zählung von großen Tiermengen per Infrarotbild oder die Suche nach Reptilieneiern.

Für Tiere bedeutet sanfte Medizin das gleiche wie für Menschen: weniger Angst vor der Spritze. Denn die Thermoaufnahmen aus bis zu zwanzig Meter Entfernung stören die sensiblen Tiere kaum. Das Zittern der Zebras beim normalen Arztbesuch bedeutet für das liebe Vieh enormen Streß.

Überlebenswichtig wird die Infrarotmethode allerdings, wenn es um Zucht zur Arterhaltung bedrohter Spezies geht. Denn um den Genpool der Arten möglichst groß zu halten, werden per Computerrechnung möglichst weit entfernte Partner zueinander gebracht. Doch ehe sich ein Nashornbulle auf die Reise quer durch Europa macht, muß sichergestellt sein, daß die Nashornkuh nicht bereits trächtig ist. Ein Blick durch die Wärmekamera kann helfen, anstrengende Dienstreisen für Dickhäuter zu verhindern.