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■ Notizen: Pier Paolo Pasolini über die Arroganz der Studenten 1968Die KP an die Jugend!

Nach den Zusammenstößen der italienischen Studenten mit der Polizei und Vertretern der KPI 1968 in der Valle Giulia von Rom hat Pier Paolo Pasolini „Notizen“ in Versen angelegt, die bis heute für Aufregung auch unter seinen Anhängern sorgen. Der damals schon berühmte Dichter, Politkommentator und Regisseur wollte nicht in den Chor der „Scheiß Bullen“-Schreier einstimmen, sondern stellte sich auf die Seite der Polizisten – wegen ihrer Herkunft und wegen der Arroganz der Studenten. Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus: „Die KP an die Jugend!“, übersetzt von Birkhart Kroeber (in: „Das Herz der Vernunft“. Wagenbach Verlag Berlin).

Schade. Die Polemik gegen/

die KP war in der ersten Hälfte/

des letzten Jahrzehnts fällig. Ihr kommt zu spät, Kinder./

Und es ändert nichts, wenn ihr damals noch nicht geboren

wart./

Die Journalisten in aller Welt (mitsamt/

denen vom Fernsehen)/

lecken euch (wie man, ich glaube, immer noch sagt in der

Sprache/

der Uni) den Arsch. Ich nicht, Freunde./

Ihr habt Gesichter von Vätersöhnchen./

Die rechte Art schlägt immer noch durch./

Ihr habt denselben bösen Blick./

Ihr seid furchtsam, unsicher, verzweifelt/

(ausgezeichnet!), aber ihr wißt auch, wie/

man arrogant, erpresserisch und sicher ist:/

kleinbürgerliche Vorrechte, Freunde./

Als ihr euch gestern in der Valle Giulia geprügelt habt

mit den Polizisten,/

hielt ich es mit den Polizisten!/

Weil die Polizisten Söhne von armen Leuten sind./

Sie kommen aus Randzonen, ländlichen und städtischen./

Was mich angeht, so kenne ich sehr wohl/

die Weise, wie sie als Kinder und Jungen gelebt haben,/

die kostbaren tausend Lire, den Vater, auch er ein Junge

geblieben/

wegen des Elends, das keine Autorität verleiht./

Die Mutter mit schwieligen Händen wie ein Gepäckträger,/

oder zart,/

durch irgendeine Krankheit, wie ein Vögelchen;/

die vielen Brüder; das armselige Haus/

zwischen den Gärten mit dem roten Salbei (auf fremdem,

parzellierten Boden); die Kellerlöcher/

über den Kloaken oder die Wohnungen in den großen/

Sozialkasernen etc./

Und dann seht, wie sie angezogen sind; wie Hanswürste/

mit jenem groben Stoff, der nach Truppenverpflegung,/

Schreibstube und Volk riecht. Schlimmer als alles natürlich/

ist die psychologische Verfassung, auf die sie reduziert sind/

(an die vierzigtausend Lire im Monat);/

kein Lächeln mehr,/

keine Freundschaft mit der Welt,/

abgesondert,/

ausgeschlossen (in einem Ausschluß sondergleichen);/

erniedrigt, weil sie ihr Menschsein verloren haben,/

um Polizisten zu sein (gehaßt werden lehrt hassen)./

Sie sind zwanzig, in eurem Alter, liebe Freunde und

Freundinnen./

Gegen die Institution der Polizei sind wir uns selbstverständ-

lich einig./

Aber legt euch einmal mit der Justiz an, und ihr werdet

sehen!/

Die jungen Polizisten,/

die ihr aus heiligem Bandentum (in vornehmer Tradition/

des Risorgimento)/

als Vätersöhnchen geprügelt habt,/

gehören zu einer anderen Gesellschaftsklasse./

In der Valle Giulia hat es gestern also ein Stück/

Klassenkampf gegeben: und ihr, Freunde (obwohl im/

Recht), wart die Reichen,/

während die Polizisten (im/

Unrecht) die Armen waren. Ein schöner Sieg also,/

der eure. In solchen Fällen/

gibt man den Polizisten Blumen, Freunde./

„Popolo“ und „Corriere“, „Newsweek“ und „Le Monde“/

lecken euch den Arsch, ihr seid ihre Kinder,/

ihre Hoffnung, ihre Zukunft: wenn sie euch tadeln,/

bereiten sie sich bestimmt nicht auf einen Klassenkampf/

gegen euch vor! Wenn überhaupt,/

dann auf den alten inneren Kampf.../

die Studentenbewegung/

studiert nicht die Evangelien, deren Lektüre/

ihre Schmeichler mittleren Alters ihr nachsagen,/

um sich das Gefühl der Jugend und eine erpresserische

Unschuld zuzulegen./

Nur eines kennen die Studenten wirklich;/

den Moralismus des Vaters im Richteramt oder freien Beruf,/

die konformistische Gewalt des älteren Bruders/

(der natürlich in die Fußstapfen des Vaters tritt),/

den Haß auf die Kultur, wie ihre Mutter sie besitzt,/

bäuerlicher Herkunft, wenn auch schon weit zurück./

Das, liebe Kinder, kennt ihr./

Und durch zwei eherne Gefühle wendet ihr es an:/

das Bewußtsein eurer Rechte (man weiß, die Demokratie/

zieht nur euch in Betracht) und das Streben/

nach Macht...

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