„Hätte ich's gewußt, ich hätte anders gehandelt“

■ Fundamentalisten gilt er als vogelfrei, linken Kämpfern als Verräter: ein Algerier im Untergrund

Houari B. (53) ist in Algerien geboren und stammt aus einer Fundamentalistenfamilie, von der mehrere Mitglieder terroristische Anschläge verübt haben sollen. Bereits in den siebziger Jahren suchte er in Frankreich nach einem Ausgleich mit moderaten Kräften, wurde dadurch aber verfemt, zweimal angeschossen und lebt seither in unterschiedlichen Ländern. Einer seiner Söhne (heute 27) ist seit vier Jahren verschwunden.

taz: Eine politische Heimat haben Sie wohl ebensowenig wie eine geographische?

Houari B.: Das stimmt. Ich bin dreimal verfemt: von meiner Familie, für die der Kampf gegen ein aufgeklärtes Regime Ehrensache ist, von meinen früheren politischen Freunden, weil sie mich als Sicherheitsrisiko einstufen, nachdem mich die Islamisten immer wieder aufgespürt haben, und auch von den Gegnern des militanten Islam, weil ich ihnen aufgrund meiner Herkunft suspekt bin. Sie denken, wer aus einer Terroristenfamilie kommt, wird irgendwann auch mal einer.

Derzeit leben Sie in Italien. Warum gerade da?

Weil man hier besonders einfach im Untergrund leben kann. Ich lebe aber nicht dauernd hier, ich pendle zwischen Frankreich, Belgien und Italien. Auch in Deutschland habe ich ab und zu einige Monate verbracht.

Ist der Untergrund denn für Sie notwendig?

Leider ja. Fundamentalisten haben mich für vogelfrei erklärt, obwohl ich politisch doch mit ihren Zielen übereinstimme und das auch immer gesagt habe. Mitglieder der französischen Action directe, mit denen ich früher Kontakt hatte, sehen mich als Verräter, weil ich einmal Polizisten vor einem heimtückischen Anschlag gewarnt habe. Und auch jene, die wie ich für eine friedliche Einführung islamischer Normen plädieren, würden mich wohl bald an die Terroristen ausliefern

Warum?

Sie kennen nicht die Mechanismen der Politik im Umfeld des Terrorismus. Leute wie ich, die „verbrannt“ sind, werden als Spielball benutzt: Man läßt sie jenen zukommen, die noch eine Rechnung offen haben, und erkauft sich damit Vergünstigungen auch von ihren politischen Feinden. Das ist wie bei den Geheimdiensten.

Sehen Sie das nicht zu schwarz?

Ich denke nicht.

Wie betätigen Sie sich heute?

Ich versuche vor allem Opfern zu helfen. Ich organisiere sichere Unterkünfte für sie, helfe ihnen bei der Arbeitssuche, natürlich überwiegend illegal, halte Verbindung mit ihren Familien, wenn sie das selbst nicht können.

Wie viele Menschen sind das?

Derzeit mögen es wohl 40, 50 Menschen sein, um die ich mich mehr oder weniger regelmäßig kümmere.

Wer bezahlt das alles?

Manchmal die Leute, denen ich helfe. Nicht alle sind ja arm, die selbst geschossen haben oder die angeschossen wurden. Manchmal zahlen auch die Familien, damit ich ihrem Mitglied im Untergrund helfe. Und ich arbeite ja auch selbst, mache Übersetzungen.

Haben Sie das Verschwinden Ihres Sohnes in Verbindung gebracht mit den Ermittlungen gegen Sie selbst.

Zuerst ja. Es ist aber möglich, daß er freiwillig zu den Fundamentalisten gegangen ist, wir hatten in dieser Richtung harte Auseinandersetzungen. Ich leide natürlich sehr darunter, daß ich nichts mehr von ihm höre.

Würden Sie heute etwas anders machen als seinerzeit, als Sie sich von Ihren Freunden und Ihrer Familie entfernten?

Es mag feige klingen, aber ich denke, wenn ich alles gewußt hätte, was auf mich zukommt, hätte ich anders gehandelt. Interview: Ismail Ali