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Risikofall Kohl

■ Koalitionskrise: Warum Neuwahlen näherrücken

Als Helmut Kohl sich Anfang April zur erneuten Kanzlerschaft bereit erklärte, warnte Kurt Biedenkopf vor dem besonderen Risiko dieser Kandidatur. Der Risikofall ist mittlerweile eingetreten. Vor zwei Monaten kompensierte der Kanzler mit seiner Ankündigung noch den Koalitions- und Parteistreit um die Steuerreform und die Rentenfinanzierung. Mittlerweile wird die Steuerreform auf dem Vermittlungswege zu Grabe getragen, ein Rentenkompromiß ist nicht in Sicht. Über die Halbierung der Arbeitslosenzahlen schweigt man in Bonn schamvoll, die Reformen des Staatsbürgerrechts und der Zuwanderung sind blockiert. Das Defizit im Haushalt ist um etliche Milliarden größer geworden, eine Deckung nicht vorhanden. Das Maastricht-Kriterium wird wahrscheinlich verfehlt, die Reihen der konservativen Bündnispartner in Europa lichten sich. Die Bundesbank macht Front gegen die Bundesregierung, und die eigenen Abgeordneten verweigern die Gefolgschaft.

Nun würde man doch gerne ein Wort des Kanzlers zu seiner Kandidatur hören und erfahren wollen, wie er den Kreis quadriert, den Euro erreicht und den Haushalt ohne Steuererhöhung beschließt. Doch nun fehlen dem Vorsitzenden die Worte, die der Partei den Weg aus ihrem Dilemma weisen. Als vor einem halben Jahr die Senkung des Solidarzuschlags verschoben wurde, kujonierte Kohl die FDP, weil die CDU mit der möglichen Alternative einer Großen Koalition spielen konnte. Mittlerweile hat die CDU keine Alternative mehr. Mittlerweile ahnt die FDP, daß ein erneuter Wortbruch sie unter fünf Prozent drückt und ihre Chancen bei Neuwahlen größer sind. Denn sie könnte als Steuersenkungspartei immerhin mit einem klaren Profil in den Wahlkampf ziehen. Das fehlt der CDU. Sie leidet an der gleichen Desorientierung und Zerrissenheit, über die sie sich noch vor kurzem bei der SPD mokierte.

Biedenkopf hat seine Partei gescholten, weil sie Deutschland nicht auf das 21. Jahrhundert vorbereitet. Mittlerweile keimen in der CDU Zweifel, ob sie auf die kommenden Monate vorbereitet ist. Und es ist keiner da, der diese Zweifel ausräumt. Der Kanzler? Er dürfte mittlerweile kaum noch zweifeln, daß seine Kandidatur auch ein Risiko für ihn selbst bedeutet. Den Zeitpunkt für einen honorigen Abgang hat er verpaßt. Dieter Rulff

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