: Kein Paradies für Zeichner Erhard
■ „Johann Christoph Erhard – Malerische und Romantische Reisen“in der Kunsthalle
Ferienzeit, Reisezeit, Verkehrskollaps und Stau: diese Begleiterscheinungen des Wegs in die Ferne sind heute so normal geworden, daß schon kaum einer mehr sich darüber aufregt. Da ist es eine Erinnerung wert, daß Reisen einst andere Dimensionen hatte. Zu Fuß, per Pferd oder mit der Kutsche waren Ortsveränderungen nicht nur bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts ungleich zeitaufwendiger. Das Unterwegssein selbst war ein die Romantik prägendes Lebensgefühl, eine Wanderung nach Italien eine einschneidende Lebensentscheidung.
Von der Ruhe und genauen Beobachtung jener Zeit kündet die Ausstellung Malerische und Romantische Reisen in der Hamburger Kunsthalle. Sie zeigt ausführlich das Werk des 1795 in Nürnberg geborenen Zeichners Johann Christoph Erhard. Seit seinem zehnten Lebensjahr erhielt er Zeichenunterricht und begann die Burgen rund um seine Vaterstadt zu studieren. 1816 ging er nach Wien und wanderte durch Österreich, seit 1819 lebte er in Rom.
Die noch ländliche Stadt mit ihren von der Vegetation verborgenen antiken Bauten war damals ein Magnet für Künstler. Allein aus den deutschen Ländern lebten an die 600 Maler, Zeichner und Bildhauer in der „Künstlerrepublik“, wo sie zwar Freiheit hatten, Geld oder Erfolg aber keineswegs gesichert waren.
Der dritten Generation von Italienfahrern angehörend, war der arme Erhard für den Klassizismus zu spät und für den Realismus zu früh. Er wurde damals außerhalb seines Freundeskreises wenig beachtet und ist bis heute von der Kunstwissenschaft stiefmütterlich behandelt worden.
Dabei weist seine Landschaftssicht oft über die Romantik hinaus auf den frühen Realismus. Intensive Farbigkeit in den Aquarellen ruft eine atmosphärische Klarheit hervor. Das traditionelle Vordergrundmotiv wird mehr und mehr weggelassen oder bleibt zumindest fragmentarisch, der Bildausschnitt erhält eine fast photographische Offenheit. Wenn in der Campagna-Landschaft von 1820 ein einzelner Turm fast surreal vor verschatteter Landschaft steht, macht sich im verlassenen Ort eine Melancholie breit, die ohne jede romantische Idealisierung oder Süßlichkeit im Stile der späteren Nazarener ist.
Rom wurde damals hymnisch verklärt, aber die tatsächlichen Lebensumstände um 1800 waren keineswegs paradiesisch. Johann Christoph Erhard war hoch verschuldet und litt immer öfter unter Depressionen, machte schon 1820 einen Selbstmordversuch und starb zwei Jahre später mit erst 27 Jahren an einer sich selbst zugefügten Schußverletzung.
Der mit ihm befreundete Hamburger Künstler, Kunsthändler und Auktionator Georg Ernst Harzen erwarb aus dem Nachlaß um die 250 Zeichnungen und nahezu das gesamte druckgraphische Werk. Da Harzen seine umfangreiche Sammlung von zuletzt fast 30tausend Blättern der Stadt Hamburg für ihr neues Kunstgebäude vermachte, gilt er als Gründer des Kupferstichkabinetts und die Kunsthalle kann diese umfassende Ausstellung in der Rotunde aus eigenem Bestand ausrichten.
Hajo Schiff
„Johann Christoph Erhard: Malerische und romantische Reisen“, bis 27. Juli, Kunsthalle, Glockengießerwall
Katalog, 48 Mark
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