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God bless America

Für die Freiheit in Asien haben die USA mehr erreicht, als alles Gerede von der Überlegenheit asiatischer Werte. Diese haben nur wenig mit Asien zu tun, aber viel mit den eigenen Wünschen  ■ Von Ian Buruma

Menschenrechte haben neuerdings keine gute Presse mehr. Die Vorstellung, daß es überhaupt Rechte gäbe, die universelle Gültigkeit beanspruchen könnten, wird lautstark zurückgewiesen. Universalität impliziere einen Mangel an Sensibilität für kulturelle Unterschiede. Manche sehen „die Ideologie der Menschenrechte“ als eine Form des Imperialismus. Selbst wenn akzeptiert würde, daß das Recht auf Schutz vor Folter und Mord universell gelten soll, so bleiben noch genug Argumente gegen die Universalität anderer Rechte bestehen. Soll Arbeit ein allgemeines Menschenrecht sein? Oder drei Mahlzeiten am Tag, oder wenigstens zwei? Und was ist mit der Gleichheit der Geschlechter? Oder auf eine Ehe mit einem gleichgeschlechtlichen Partner? Das mag wünschenswert sein – aber qualifiziert es sich dadurch als unveräußerliches Menschenrecht?

Die Frage von Rechten ist in Wirklichkeit eine Frage der Politik. Sie als Frage moralischer Prinzipien zu betrachten, schafft Probleme. Eines der Probleme ist beispielsweise, daß die meisten moralischen Prinzipien nicht universell sind. Und sie als solche zu setzen, bedeutet nichts anderes, als Missionaren Konkurrenz zu machen. Die moderne Idee der Menschenrechte, die zu größten Teilen im Westen erdacht wurde, wird von verschiedenen Blickwinkeln kritisiert. Eine bestimmte Variante der Kritik hört man vor allem aus Südost- und Ostasien. Autoritäre Politiker aus China, Malaysia, Indonesien, Birma und Singapur werfen den Verteidigern der Menschenrechte vor, bestenfalls Heuchler und schlimmstenfalls „antiasiatische“ Imperialisten zu sein. Sie sind der Auffassung, daß Westler, die Menschenrechte in nichtwestlichen Gesellschaften predigen, Heuchler sind, weil westliche Gesellschaften, und darunter besonders die USA, moralischen Zusammenbruch erlitten hätten. Man denke nur an Rassismus, sexuelle Exzesse (sprich Aids), Gewaltkriminalität, Drogen, Scheidung, egoistischen Individualismus, unmoralische Unterhaltung und so weiter. Wie kommen solche Leute dazu, Gesellschaften wie den ihren, die (angeblich) diese typischen Symptome westlicher Dekadenz nicht aufweisen, moralische Prinzipien zu predigen?

Die Angst vor westlicher Dekadenz ist besonders stark in den reicheren asiatischen Gesellschaften wie Singapur ausgeprägt, die in Wahrheit unter denselben Symptomen zu leiden haben. Das Familienleben in Ostasien ist ebenso unter Druck wie im Westen. In zunehmender Zahl gehen Eltern in Singapur vor Gericht, weil ihre Kinder sich weigern, für sie im Alter zu sorgen. Jede siebte (nicht- muslimische) Ehe in Singapur endet in Scheidung. Drogen sind ein besonders großes Problem in Malaysia, Aids ist eine Katastrophe in Thailand. Und wer meint, Hollywoodfilme zeigten zuviel Gewalt, sollte sich mal indonesische Filme ansehen.

Das alles beweist die Unsinnigkeit der Behauptung einer moralischen Überlegenheit Asiens, wie sie Leute wie Singapurs Premierminister Lee Kuan Yew oder Malaysias Premier Mahathir äußern. „Asiatische Werte“, ohnehin ein eher vager Begriff, sind eine Mischung aus konfuzianischem Moralismus und offener Nostalgie für die Propaganda der britischen Kolonialzeit, mit der Lees Generation aufwuchs: Disziplin, Pflichtbewußtsein, Anerkennung von Autorität, und der Vorstellung, daß Asiaten für ein demokratisches System noch nicht bereit oder gar völlig ungeeignet seien. Dieser letztgenannte Punkt ist natürlich der wichtigste. Die Kritik westlicher Menschenrechtspolitik mit Verweis auf „asiatische Werte“ ist nichts anderes als der politische Wunsch, politische Autorität zu monopolisieren. Und sie entspringt der Angst vor den demokratische Aspirationen der eigenen Bevölkerung. Zu behaupten, autoritäre Herrschaft sei ein asiatischer Wert, ist nichts anderes als die Behauptung, daß der Status quo der natürliche Zustand asiatischer Gesellschaften sei. Wer dem nicht zustimmt, ist „unasiatisch“ oder etwas Schlimmeres: ein Verräter. Das Recht, das sich die Europäer in ihrer Herrschaft über Asien in der Vergangenheit anmaßten, war auf genau denselben Fundamenten gebaut.

Konservative Politiker im Westen, ob sie sich der kolonialen Wurzeln des asiatischen Autoritarismus bewußt sind oder nicht, finden vieles an dieser Idee asiatischer Werte attraktiv. In ihrem Eifer für mehr soziale Disziplin, härtere Strafen für Kriminelle, für größere Kürzungen der Wohlfahrtsetats und Beschneidung sexueller Freiheiten in ihren eigenen Gesellschaften, glauben sie Lees und Mahathirs Propaganda aufs Wort. Wie sonst könnte ein durchaus intelligenter Mensch wie der frühere Staatssekretär für Transport und Verkehr, der konservative Brite David Howell, behaupten, daß „Asien möglicherweise der ganzen Welt ökonomisch und moralisch zeigt, wo es in Zukunft langgehen muß“? Dem entgegenzuhalten, daß asiatische Gesellschaften durchaus nicht moralisch überlegen sind, geht daneben. Denn Howells asiatische Werte haben nichts mit Asien zu tun und alles mit der Gesellschaft Großbritanniens.

Auch viele Beobachter der Linken fühlen sich mit diesen asiatischen Werten nicht wohl. Die Vorstellung, daß einige westliche Werte denen Asiens überlegen sein könnten, darf erst recht nicht angenommen werden. Von den postkolonialen, antiamerikanischen, Pro-Dritte-Welt-Linken wird, wenn schon, eher das Gegenteil propagiert. Die Monster Hollywood-Imperialismus, westlicher Konsumismus, Coca-Kolonisation etc. sind in ihren Köpfen ebenso groß wie in denen vieler asiatischer Diktatoren. Und dennoch sind Suharto, Lee, Mahathir oder Li Peng kaum Helden der europäischen oder amerikanischen Linken. Und Marxisten sind per definitionem natürlich Universalisten (wenn Marx asiatische Kulturen auch verachtete). Wie man sich an diesem Dilemma vorbeischmuggeln kann, wurde kürzlich nett illustriert in einem Bericht, den Douglas Lummis über die „Konferenz zum Umdenken in der Menschenrechtsfrage“ in Kuala Lumpur (1994) im AMPO Japan- Asia Quaterly Review veröffentlichte. Lummis argumentierte, daß der Feind nicht der Westen sei, wie viele Dritte-Welt-Akademiker meinten, sondern vielmehr das kapitalistische System, das aus dem Westen stammt. Die Bekräftigung von Menschenrechten sei nötig, um die Ausbeutung, die der „liberal-kapitalistischen Ideologie“ inhärent sei, zu mildern. Sobald jedoch der liberale Kapitalismus besiegt sei, würden asiatische Werte, die da sind Kooperation und Solidarität, stärker werden.

Und die Anti-Menschenrechts- Advokaten haben noch eine Trumpfkarte im Ärmel, die in der Hauptsache ein ökonomisches Argument ist. Die reichen, nachindustriellen Länder könnten den Regierungen armer Länder lange erzählen, es sei doch netter, ihren Arbeitern höhere Löhne zu zahlen, deren Arbeitsbedingungen zu verbessern, die Regenwälder stehen zu lassen und sowohl saubere Fabriken als auch demokratische Institutionen aufzubauen. Aber die armen Länder müssen nachholen. Dies ist ihre Gründerzeit. Sie können sich nicht leisten, so milde mit ihren Völkern und ihrer Umwelt umzugehen wie die reicheren Länder. Und wie Lee Kuan Yew gerne betont: Demokratie ist ein Luxus. Auf Demokratie und Menschenrechten zu bestehen, ist der Versuch des Westens, den Osten niederzuhalten. Für die wirtschaftliche Entwicklung braucht man eine starke Hand.

Man kann dies mit dem Hinweis beantworten, daß Demokratie durchaus kein Luxus ist, sondern vielmehr der beste und effektivste Weg, das Beste aus der Bevölkerung herauszuholen. Aber abgesehen davon ist diese Kritik nicht ganz unberechtigt. Die industrielle Entwicklung ist in armen Ländern unvermeidlich ein kruderes Unternehmen, als die meisten Menschen des Westens das gerne hätten. Natürlich sind starke Gewerkschaften, gute Löhne, reine Luft und eine demokratische Regierung gute Dinge, die gefördert werden müssen – aber sie sind keine allgemeinen Menschenrechte und haben auch im Westen ihre Zeit gebraucht; man kann sie nicht durch Agenturen westlicher Regierungen in armen Ländern erzwingen.

Es wäre für die Diskussion hilfreich, wenn wir die Sprache der Rechte und Werte beiseite ließen und ganz einfach über Politik sprächen. Die Freiheit, seine politischen Repräsentanten zu wählen, zu wissen, was sie tun, sie kritisieren zu können und von ihrer Willkür durch Gesetze geschützt zu sein, ist der beste Schutz vor einer desaströsen Politik, die zu menschlichen Katastrophen führt. China wäre zweifellos ein sichererer Ort, wenn es demokratisch regiert wäre. Das Problem ist nur, daß die Außenwelt dies effektiv nicht erreichen kann. US-amerikanischer oder europäischer Druck, die Menschenrechtssituation in China zu verbessern, mag genügen, um ein paar Dissidenten aus den Gefängnissen zu holen. Und das ist sehr gut so. Aber es wird Chinas politische Institutionen nicht verändern.

Es ist interessant, wenn auch nicht für jederman politisch befriedigend, sich einige der Erfolge in Sachen demokratischer Veränderung in Asien einmal genauer anzusehen. In den letzten zehn Jahren haben in drei ostasiatischen Ländern gewaltlose demokratische Revolutionen stattgefunden: in den Philippinen, Süd-Korea und Taiwan. Thailand könnte man auch noch dazuzählen. Und Japan wurde zu einer funktionierenden Demokratie nach seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Keines dieser Länder hat ein vollkommenes demokratisches System, aber die meisten leisten sich eine mehr oder weniger freie Presse, freie und mehr oder weniger faire Wahlen und einen effektiven gesetzlichen Schutz gegen willkührliche Maßnahmen der Mächtigen.

Was erklärt diese Transformationen? Ist es die Kultur? Abgesehen von den Philippinen und Thailand haben sie alle eine konfuzianische Kultur. Aber zu behaupten, daß Konfuzianismus besonders förderlich für die Demokratie sei, ist danebengegriffen. Entwicklungsexperten behaupten, daß zunehmender Wohlstand zu Demokratie führt. Reichtum kreiert eine Mittelklasse, die dann auch politische Rechte fordert. Das wäre in etwa eine passende Beschreibung für Süd-Korea – aber dieser Prozeß ist nicht automatisch, denn sonst müßten Malaysia und Singapur ebenso demokratisch sein wie die Philippinen oder Thailand.

Es gibt natürlich eines, was die genannten Staaten verbindet, und das ist ihre enge Beziehung zu den Vereinigten Staaten. Japan war unter amerikanischer Besatzung; Taiwan und Süd-Korea hatten amerikanische Schutztruppen auf ihrem Territorium, und auch Thailand war lange abhängig von amerikanischen Hilfsleistungen und Sicherheitsbündnissen; die Philippinen waren eine amerikanische Kolonie, deren politische und wirtschaftliche Elite auch nach der Unabhängigkeit auf amerikanischen Schutz angewiesen war.

In allen genannten Ländern wurde die demokratische Umwälzung gegen den Widerstand der jeweiligen autoritären Regime von einheimischen Eliten durchgesetzt. Und hier war ein entscheidender Faktor die USA. Gutgemeintes Moralisieren hätte weder Marcos noch Chun Doo Hwan noch das per Kriegsrecht regierende taiwanische Regime aus dem Sattel gehoben. Entscheidend war vielmehr, daß die USA auf die Regime ihrer Klientel-Staaten Druck ausübte, sich der demokratischen Erneuerung zu beugen. Nennt es Imperialismus, wenn ihr wollt. Für die Freiheit in Asien hat es mehr erreicht, als das Gerede von der Überlegenheit asiatischer Werte.

Ian Buruma ist Autor und Journalist. Seine letzte Buchveröffentlichung war „The Missionary and the Libertine: Love and War in East and West“ (1996).

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