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Ein letzter Hauch von Pubertät

Mit unnötig blondiertem Haar präsentiert Kenneth Branagh jetzt Hamlets eher brutale Seite  ■ Von Anja Seeliger

Eine einsame, verlorene Gestalt steht ratlos auf einem Hügel. Weit hinter ihr, auf einer schneebedeckten Ebene, marschieren „20.000 Mann, die für 'ne Grille, ein Phantom des Ruhms, zum Grab geh'n wie ins Bett“. Während Hamlet, durch den Anblick gedemütigt, seine eigene Entschlußlosigkeit beklagt, entfernt sich die Kamera von ihm. Je lauter er klagt, sich anspornt zur Rache, desto kleiner wird er im Bild. Bis er zu einem winzigen Fleck vor einer riesigen Ebene zusammengeschrumpft ist, der aus Leibeskräften seinen Schlußsatz brüllt: „O von Stund' an trachtet nach Blut, Gedanken, oder seid verachtet.“

„Und ich will nie wieder hungern!“ ergänzt der Zuschauer stumm, während er sich in der Pause mit einem Kaffee für die nächste Stunde stärkt. Obwohl: „Vom Winde verweht“ ist ein Fliegendreck gegen Kenneth Branaghs „Hamlet“. Für die Außenaufnahmen wurde mehr Kunstschnee verbraucht als für „Dr. Schiwago“. Gedreht wurde der Film im 70-mm-Breitwandformat – was die Briten zuletzt mit „Lawrence von Arabien“ gewagt haben. Noch die winzigste Nebenrolle ist mit einem Star besetzt: Die berühmtesten britischen Shakespeare-Darsteller wie Derek Jacobi oder Judi Dench spielen Seite an Seite mit Hollywoodstars wie Charlton Heston, Jack Lemmon, Robin Williams und vielen anderen. Entsprechend kühn behauptet das Presseheft: „Wer ,Hamlet‘ automatisch gleichsetzt mit finsteren Burgen, spartanischen Kostümen und Mimen mit Topfhaarschnitt und Strumpfhosen, der muß jetzt umdenken.“

Allein das Drehbuch (William Shakespeare) spielt nicht so recht mit. Was wäre „Vom Winde verweht“ ohne die Bürgerkriegsszenen? Was „Lawrence von Arabien“ ohne die Kämpfe zwischen Arabern und Briten? Zwar wird Branagh nicht müde zu behaupten, daß „Hamlet“ voller Sex und Gewalt steckt, aber vor allem ist es ein Stück der Selbstreflexion: Die meiste Zeit spricht Hamlet zu sich selbst. Branagh versucht das Dilemma zu umgehen, indem er und seine Schauspieler ständig in Bewegung bleiben. Unaufhörlich rennt man hierhin und dorthin, als hätten sie alle Hummeln im Hintern. Im Ergebnis ist dieser „Hamlet“ weniger episch als athletisch. Und wenn die Darsteller dann doch einmal stehen bleiben, sieht es trotz der prächtigen Kulissen sofort aus wie abgefilmtes Theater.

Als hätte Hamlet nicht schon genug unangenehme Züge, hat Branagh sich für die Hamlet-Rolle das Haar blondieren lassen und seinen stämmigen Körper in ein paar kleidsame taillenhohe Uniformhosen gesteckt. Er sieht aus wie ein Barbar. So steht zwangsläufig die brutale Seite von Hamlet im Vordergrund: die kindische Wut, weil seine Mutter wieder geheiratet hat, der Mord an Polonius und an Rosenkranz und Güldenstern, die brutale Behandlung von Ophelia. Das Grübeln scheint nur noch ein letzter Abglanz von Pubertät zu sein. Noch ein, zwei Jahre, dann hätte sich das ausgewachsen. Wahrscheinlich wäre er seinem verhaßten Onkel recht ähnlich geworden. Und so ist man am Ende geradezu erleichtert, daß er stirbt. Mit Strumpfhosen wäre das vielleicht nicht passiert.

Hamlet“. Regie: Kenneth Branagh, Kamera: Alex Thomson. Mit Kenneth Branagh, Derek Jacobi, Julie Christie, Jack Lemmon, Robin Williams u.a. GB 1996

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