: Vermummter als die Polizei erlaubt
■ Neue Vorwürfe der Grünen gegen Polizeieinsatz am 1. Mai: Zwei weitere maskierte und ein steinewerfender Beamter laut Videos und Zeugenaussagen. Drohung mit Untersuchungsausschuß
Bei den Krawallen am 1. Mai waren mehr vermummte Polizisten unterwegs, als Polizeiführung und Innenverwaltung bisher zugegeben haben. Diesen Vorwurf hat die Fraktion der Grünen in einem Schreiben an Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) erhoben. Die Grünen stützen ihren Vorwurf auf eine genaue Sichtung des Filmmaterials, das in Auszügen im Innenausschuß gezeigt wurde (siehe Foto) und auf Zeugenaussagen. Insgesamt, so Fraktionschef Wolfgang Wieland, seien über den von der Polizei bestätigten Fall eines vermummten Ordnungshüters hinaus mindestens zwei weitere Polizisten in der verbotenen Vermummung unterwegs gewesen.
Einen der beiden weiteren vermummten Polizisten haben die Grünen in einem Pulk von 30 mit Tonfas (asiatischer Spezialschlagstock) bewaffneten Zivilbeamten in der Demonstration vom Rosa- Luxemburg-Platz ausgemacht. Außerdem gebe es drei „glaubwürdige“ Zeugen, deren Identität die Grünen der Innenverwaltung in dem Schreiben mitteilen, die weitere belastende Aussagen machen: So sei ein dritter mit Kapuze und Tuch vermummter Beamter am Mariannenplatz bei Festnahmen und Zuführungen beobachtet worden. Außerdem sei auch ein szenetypisch gekleideter Zivilpolizist gesichtet worden, der einen Stein in Richtung eines Wasserwerfers geworfen habe.
Der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland zeigte sich über die neuen Erkenntnisse empört: „Es ist unglaublich, daß wir immer noch keinen genauen und vor allem wahrheitsgemäßen Bericht haben.“ Er verlangte, daß die Polizei endlich ihr „Versteck- und Verwirrspiel“ aufgebe. Für den Fall, daß dies nicht geschehe, drohen die Grünen mit der Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Auch der PDS-Abgeordnete Freke Over meinte, ohne Untersuchungsausschuß sei nur „allgemeines Abwiegeln“ zu erwarten.
Die ersten Vorwürfe vom 16. Mai, Polizisten hätten sich im Einsatz vermummt, hatte die Polizei empört zurückgewiesen. Erst als die „Abendschau“ Filmaufnahmen mit einem vermummten Beamten brachte, räumte Polizeipräsident Hagen Saberschinsky vor dem Innenausschuß ein, daß es einen derartigen Vorfall gegeben habe. Er bestand darauf, daß es sich um einen Einzelfall handele.
Im Raum steht auch noch der Vorwurf, die Polizei habe die Situation am 1. Mai mehrmals bewußt eskalieren lassen. In einem Funkprotokoll vom Humannplatz in Prenzlauer Berg hieß es: „Es wäre schön, wenn sie mir mit 'ner Eskalation noch ein bißchen Zeit ließen, damit ich die anderen Kräfte peu à peu nachziehen kann.“ In ihrem Brief an den Innensenator fragen die Grünen außerdem, ob es ausgeschlossen werden könne, daß Zivilkräfte an dem Anzünden des Autos am Mariannenplatz und an den „Angriffen auf die Fernsehteams“ beteiligt gewesen seien. Wieland wies darauf hin, daß das Fernsehteam „davon ausgeht, daß es Polizisten waren“.
Die Polizei wollte sich bisher nicht zu den neuen Vorwürfen äußern. Und auch Schönbohm erwischten die neuen Vorwürfe auf dem falschen Fuß: Er weilte gestern in Bonn bei der Innenministerkonferenz. Tobias Singelnstein
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen