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„Abends werd' ich 'n bißchen kribbelig“

Judith ist 20 und erzählt – über ihre Erfahrungen mit Drogen, über Politik und die Liebe, über die vielen Szenen der Subkultur und überhaupt. Jugendliches Lebensgefühl in der Großstadt, protokolliert  ■ von Detlef Kuhlbrodt

Als die DDR kaputtging, war Judith 12. Mit 15 war sie Punk und hing trinkend am Helmholtzplatz herum. Mit 17 zog sie von zu Hause fort. Kurz vor dem Abi brach sie die Schule ab. Ein halbes Jahr gärtnerte sie als ABM-Kraft.

Inzwischen ist sie 20 und schlägt sich am liebsten in der Goa-Szene, eine Art hippieske Version von Techno, die Nächte um die Ohren.

Judith ist Vegetarierin, nicht aus Prinzip, sondern weil das irgendwie so kam. Sie liest taz und Spiegel, eine Inline-Skate-Zeitschrift und viele Bücher. Ab und an geht sie noch ihrem alten Hobby nach – dem Erfinden von Sätzen, die jeweils nur einen Vokal enthalten. So entstehen gültige Lebensweisheiten: „Hasch macht strafbar, dann Haftanstalt“, „Leberwerte erschrecken verelendete Penner“, „Ministrip mit Bikinislip ist in. Dit find ick richtig schick“, „Kunst und Subkultur – Lug-und-Trug- Schluß.“

Am liebsten trägt sie bunte Sachen und eine große rosa Kinderbrille. Und erzählt ihr Leben so:

Eigentlich sag ich mir jeden Donnerstag, du gehst nicht weg. Aber dann werde ich ein bißchen kribbelig, am Abend schon: Dann fahr ich so gegen drei auf die „Insel“ und bleibe meistens bis morgens um sieben. Und wenn ich Donnerstags weg war, ist das Wochenende gelaufen. Ich schlafe bis Freitag abend, dusche, lege irgendeine Musik ein, und dann geht's schon wieder los zur nächsten Party. Da bleibe ich meistens bis zwölfe mittags. Manchmal länger. Das geht dann das ganze Wochenende so. Die Goa-Szene in Berlin, das sind vielleicht 500 Leute. Die meisten kenn' ich vom Sehen. Wo die sich treffen, ist unterschiedlich: Mal im „Subground“, mal im „Kit Kat“, auf der „Insel“ oder in der „Kulturbrauerei“ - die Goa-Szene hat ja keine Stammclubs.

Über Bullen aufregen? Dafür bin ich zu alt

In der Goa-Szene sind so recht bunte Leute. Eigentlich ist es sehr leicht, in die Szene reinzukommen, wenn du selber offen bist. Auf Goa-Parties kriegst du schnell mal hier, mal da ein Lächeln und bist sofort drinne. In der Techno-Szene ist Lächeln ja nicht so angesagt. Da macht jeder sein Ding und zappelt so ein bißchen vor sich her. Das liegt wahrscheinlich auch an der Droge: Auf Goa-Partys ist die dominante Droge Acid, bei Techno eher Pillen und Speed. Es gibt auch Leute, die ständig Acidbowle dabe haben. Die kaufen sich 20 Trips und reichen die Bowle immer rum: Die Family muß ja gut draufsein.

Die meisten, die ich kenne, nehmen regelmäßig Drogen. Einige auch richtig viel. Viele, die oft Acid nehmen, führen sonst so ein ganz anständiges Leben und sind auch so artig und witzlos. Das merkt man denen, wenn sie auf Drogen sind, gar nicht so an. Ich selber hab' 'ne Menge Spaß mit Drogen, kann aber auch ganz gut nein sagen. Acid oder Ecstasy nehme ich höchstens einmal im Monat.

Eigentlich feiere ich am liebsten nüchtern. Das heißt: Kiffen tust du natürlich immer. Aber das zählt nicht. Das ist so wie 'ne Kippe rauchen. Dafür rauch' ich dann halt keine Zigaretten. Aber teilweise kiff' ich so viel, daß ich dann auch denke: Huch! Da kannst du also auch gut abgehen. Und wenn ich die Mucke höre, kriege ich auch oft so kleine Flashbacks; die Pupillen werden ein bißchen größer, und du bist schon ein bißchen zappeliger. Fragen auch immer viele: „Wat, du hast nischt genommen? Du bist doch ganz schön verpeilt“, oder so.

Letzter Sommer war ziemlich heftig. Das ging los mit der Love Parade. Da hab ich zum erstenmal zwei Pillen an einem Tag genommen. Bin ein bißchen auf den Geschmack gekommen. Vielleicht auch, weil ich zu der Zeit Leute kennengelernt hatte, die immer Pillen dabeihatten und damit total locker umgegangen sind. Bei manchen sind drei Pillen am Wochenende gang und gäbe. Mindestens. Die wohnen halt in so einer verdammt langweiligen Kleinstadt. Und wenn die am Wochenende nicht wissen, was sie machen sollen, kaufen sie sich ein paar Pillen, setzen sich zu Hause hin und labern sich dann voll.

In der Zeit war ich auch gerade ein Vierteljahr arbeiten. Die Woche war immer ziemlich langweilig. Abends konntest du nie viel machen und hast dann am Wochenende erst so richtig auf die Kacke gehauen. War eine lustige Zeit. Oft hört man ja, daß man dann in Depressionen verfällt. Das kenn' ich alles gar nicht so. Nur nach Acid geht's mir manchmal richtig schlecht. So voll genervt, schlechte Laune und so. Einen Tag danach geht's dann meist wieder.

Man sollte vermeiden, auf Acid in den Spiegel zu gucken. Ich krieg' immer dermaßen einen Schreck. So richtig ungesund sieht das aus. Wenn man dagegen auf Pille in den Spiegel guckt, sieht man ja immer klasse aus: große, schicke Pupillen. Auf Acid ist man viel sensibler gegenüber anderen – auf Pille findet man unterschiedslos alles nett.

Am Zürcher See hatte ich neulich auf Acid die Leute beobachtet und in ihre Gesichter geschaut. Und wußte ganz genau, was die jetzt fühlen. Und dachte, die würden sich alle verstellen. Irgendwelche Mädels, die gelacht haben, und dann hat sich für ganz kurze Zeit der Mundwinkel oder irgendwas verzogen. Warum die sich alle verstellen? Die fühlen sich wohl nicht so wohl. Ich hab die also ganz bewußt angestarrt und mir gewünscht, daß alle ein bißchen offener und ehrlicher sind.

Letzten Sommer hatte ich so eine Wochenendpartyfreundin, die ich fast nur auf Drogen gesehen hatte. Und irgendwann hatten wir eine ziemlich heftige Pilzparty gemacht, und sie hatte dann die ganze Zeit so ein fieses Lachen, vor dem ich richtig Schiß hatte. Total unangenehm. Danach war die Freundschaft für mich erledigt.

Letztes Jahr hab' ich mich mal in Hamburg auf einer Party verliebt. In einen Kiffer, der beim Otto- Versand arbeitete. Einmal war ich auch gerade auf einer heftigen Pille und seh' irgendwann einen Typen, der hatte voll die großen, lachenden, braunen Augen. So richtig schick. Der lachte mich auch so an, und wir sind dann ins Gespräch gekommen. In den hatte ich mich total verknallt. Und als ich runtergekommen bin, dachte ich: wie wirst du den denn jetzt los? Ich fand den plötzlich so richtig langweilig und dachte: „Au weia!“

Normalerweise verknall' ich mich nur in Leute, mit denen ich auch urst gut quatschen kann. Und da man auf Parties normalerweise sowieso nicht groß ins Gespräch kommst, passiert das eher selten. Beim Tanzen bin ich meist heftig am Flirten. Aber verknallen?–- Ich vergess' das nachher meist.

Für mich ist das Weggehen eine billige Angelegenheit. Ich latsch am Eingang meist so durch und setz dann so einen Ich-habe-schon- bezahlt-Blick auf. Meist trink' ich Leitungswasser, und außerdem stehen bei Goa-Parties an den Rändern der Tanzfläche ja sowieso meist Mineralwasserflaschen rum.

Ich leb' sowieso total bescheiden. Kauf' mir Klamotten auf dem Flohmarkt, für Bücher geh' ich in die Bibliothek, und bei der taz hab' ich das billigste Abo. Eine Weile hab' ich auch geklaut. Immer irgendwelche Kleinigkeiten: Socken, Lebensmittel, Schreibwaren. Das einzige, was ich nie klaue, sind Bücher. Vor Büchern hatte ich schon immer Respekt.

Demos? Da war ich in der Punk- und Trinkzeit

Meine Eltern nerven mich manchmal sehr, weil ich mich da immer rechtfertigen muß. Ich leb' eben sehr gerne so, wie ich grad lebe, und hab' damit auch keine Probleme. Klar – ich könnte schon ein bißchen mehr machen und leb' sehr in den Tag hinein, aber ich genieß' das auch gerade. Und so lang ich das genieße, ist das doch okay.

Meine Mutter lebt mit ihrem neuen Mann zusammen. Mit dem hab' ich eh nichts zu tun. Meine Mutter macht sich einen tierischen Kopp um mein Leben. Ich sag' ihr immer, daß sie aufhören soll, sich mit meinem Leben noch zusätzlich zu belasten. Ich bin alt genug und hab' das bis jetzt ja auch gut auf die Reihe gekriegt.

Eigentlich war sie immer eine gute Freundin für mich. Nur in letzter Zeit hab' ich gemerkt, daß ich ihr nichts mehr erzählen kann. Sonst hab' ich ihr ja immer noch was von der Arbeit erzählt. Aber inzwischen bin ich ja gekündigt worden, und das weiß sie ja nicht. Da mußte ich mir in letzter Zeit immer ausdenken, wie es auf Arbeit war. Von den Parties kann ich ihr auch nichts erzählen. Das ist ja für sie Zeitverschwendung. Das ist nichts Anständiges. Da müßte ich ihr erst mal erklären, wie die Mucke ausschaut. Und das mit den Drogen kann ich ihr natürlich auch nicht erzählen, obwohl ich eigentlich Lust dazu hätte.

So langsam habe ich ihr jetzt beigebracht, daß ich kiffe. Da sehe ich immer, daß in ihrem Gesicht was zuckt, wenn ich so nebenbei erzähle: Ich war bei Freunden, hab' noch einen Joint geraucht. Sie sagt dann immer, daß ich das nicht vor meiner kleinen Schwester erzählen soll, aber meine Schwester ist jetzt auch alt genug. Die ist grade vierzehn geworden, und der erzähl ich eigentlich auch alles. Das hört sie ja sowieso an allen Ecken. Über härtere Drogen ein bißchen vorsichtig und nur ganz selten, damit sie auch merkt, daß ich das ganz selten nehme. Ich erzähl' ihr auch so ein bißchen die Nachteile. Die hat letztens auch gekifft, zum erstenmal. Hat sie mir heut' grad' erzählt. Fand' ich total niedlich. Aber sie hat nichts gemerkt.

Über Politik wird in meinem Bekanntenkreis überhaupt nicht geredet. Das hat ja auch nicht soviel mit einem selbst zu tun. Kohl hat ja auf mich, wie ich lebe, keinen Einfluß. Wenn dann doch mal einer anfängt, über Politik zu reden, bin ich total genervt. Oder so politisch engagierte Leute, die einem das im Gespräch aufdrängeln wollen und immer über irgendwas meckern oder irgendwas verändern wollen. Die sind voll anstrengend. Dann denk ich immer: „Das weiß ich oder will es von dir nicht hören, oder wenn dich das stört, dann mach was. Aber erzähl's mir nicht.“ Ich les' eigentlich nur über Politik und finde es interessant, das zu lesen. Und wenn ein Krieg dann länger dauert, dann sag' ich mir manchmal: „Mann, ist der immer noch nicht zu Ende.“ Eigentlich berühren mich nur Reportagen über Einzelschicksale. Wenn du von so einem älteren Mann liest, der alleine zu Hause sitzt oder so.

Den Castor-Transport hab' ich ganz gern verfolgt. Als der lief, sind wir gerade aus Zürich zurückgetrampt und waren bei Kassel hängengeblieben. Da kamen ständig irgendwelche Wannen an. Und plötzlich waren in der Raststätte so dreißig Bullen. Und da hab' ich überlegt, vielleicht auch nach Gorleben zu fahren. Aber dann war's mir auch egal, und ich hab' mich auf zu Hause gefreut: erst mal Zeitung lesen und gucken, wie's abgeht.

Der Kumpel, mit dem ich unterwegs war, hat sich dann die ganze Zeit noch aufgeregt über die Bullen. „Was wollen die denn hier, die Arschlöcher! Wenn ich die sehe, wird mir schon schlecht!“ Mir ging das vollkommen auf den Keks. Irgendwann hab' ich dann gesagt: „Aus dem Alter solltest du allmählich raus sein, daß du dich so über Bullen aufregst.“

Ansonsten finde ich Demonstranten richtig sympathisch, wenn ich sie im Fernsehen sehe. In Gorleben hatten die sich ja Planen gebastelt gegen die Wasserwerfer und saßen dann alle dadrunter. Das fand ich total nett. Die kamen mir alle so kreativ vor. Muß bestimmt nett gewesen sein in dem Zeltlager. Alle für 'ne gute Sache. Alle haben Spaß dabei. In meiner Punk- und Trinkzeit war ich ja auch oft auf Demos. Das waren immer lustige Parties.

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