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Das Gottesgeschenk kommt vom Kinderschänder

■ Der Chef der „Solidarität“ fordert ein Abtreibungsverbot für vergewaltigte Minderjährige. Streit um Abtreibung wird in Polen wichtigstes Wahlkampfthema

Warschau (taz) – Vergewaltigte 12jährige Mädchen sollen demnächst die Schwangerschaft austragen, forderte vor zwei Tagen Marian Krzaklewski, der Vorsitzende der polnischen Gewerkschaft Solidarność, in einem Rundfunkinterview. „Nach der ersten Gewalttat noch eine zweite zu verüben, das ist Mord.“ Im Brustton moralischer Selbstgewißheit verkündete er: „Abtreibung ist schlimmer als Vergewaltigung.“

Tags zuvor hatte Papst Johannes Paul II. im polnischen Kalisz eine Anti-Abtreibungs-Predigt gehalten: „Eine Nation, die ihre eigenen Kinder tötet, ist eine Nation ohne Zukunft“, wiederholte er seine Worte vom letzten Oktober. Mutter Teresa aus Kalkutta habe 1994 in Kairo gesagt: „Wenn eine Mutter ihr eigenes Kind töten darf, was hält dich und mich dann davon ab, uns gegenseitig umzubringen? Es gibt nur einen, der das Recht hat, das Leben zu nehmen: der Schöpfer dieses Lebens. Niemand anderes hat dieses Recht: weder die Mutter noch der Vater, kein Arzt, keine Konferenz und keine Regierung. Ein Kind ist das schönste Geschenk Gottes für Familie und Nation. Laßt es uns niemals wegwerfen!“

Daß ein vergewaltigtes 12jähriges Mädchen die Schwangerschaft als Katastrophe und nicht als „Geschenk Gottes“ ansehen könnte, ist weder für die Nonne, für den im Zölibat lebenden Papst noch für Krzaklewski ein Thema. Für sie hat der Schutz des ungeborenen Lebens unbedingten Vorrang. Alles andere, so der Papst in seiner Predigt vor der St.-Josefs-Kathedrale in Kalisz, sei Barbarei. In der Welt tobe heute der Kampf zwischen der Zivilisation des Todes und des Lebens. Er rufe die Polen auf, den „Kampf gegen die Abtreibung“ aufzunehmen.

Marian Krzaklewski hatte in Kalisz kurz mit dem Papst gesprochen. Bischof Jan Chranek hatte den radikalen Abtreibungsgegner vor aller Augen an den Altar geführt. Der Warschauer Tageszeitung Zycie (Leben) sagte der einflußreiche Politiker: „Im stillen fühlte ich den Segen des Papstes.“

Nur wenige Monate vor den im Herbst anstehenden Parlamentswahlen ist schon jetzt abzusehen, daß das Thema Abtreibung den Wahlkampf bestimmen wird. Erst vor zwei Wochen hatte das Verfassungsgericht in Warschau das im Dezember 1996 liberalisierte Abtreibungsgesetz in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. Nach dem neuen Gesetz durften Frauen auch in einer „sozialen Notlage“ einen Abbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vornehmen lassen. Das Gericht warf dem Gesetzgeber vor, die „soziale Indikation“ unzureichend definiert zu haben. In diesem Falle sei der Schutz des ungeborenen Lebens höherrangig. Mit der Verfassung vereinbar sei ein Schwangerschaftsabbruch hingegen, wenn Gefahr für das Leben der Mutter drohe, wenn das Kind schwer geschädigt zur Welt käme oder die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung sei.

Marian Krzaklewski, Chef der Wahlaktion Solidarność, will im Herbst die regierenden Postkommunisten ablösen. Papst und Kirche weiß er hinter sich. Ob das absolute Abtreibungsverbot sich allerdings in einen guten Wahlslogan verwandeln läßt, bleibt abzuwarten. Mit seinem Satz über das vergewaltigte 12jährige Mädchen, das doch bitte keinen Mord begehen möchte, hat er den Wahlkampf eröffnet. Doch die Waffe könnte sich als Bumerang erweisen. Gabriele Lesser

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