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Schickt Waigel den Milliardenscheck?

Hohe Arbeitslosigkeit läßt das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit in die Höhe schnellen. Streit um die Finanzierung. Der BA drohen tiefe Einschnitte bei ABM und Umschulung  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Wir haben nichts, was wir noch einsparen könnten.“ Bernhard Jagoda, Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), weiß, daß seine Behörde das in diesem Jahr unausweichliche Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe nicht durch eigene Einsparungen ausgleichen kann. Dies ist aber in dem vom Bundesarbeitsministerium gegen den Willen der BA- Selbstverwaltung genehmigten Haushalt vorgesehen. Die stellvertretende Vorsitzende des BA-Vorstands, Ursula Engelen Kefer, hält diese Bestimmung „nicht für zwingend“. Sollte die Bundesregierung aber darauf bestehen, dann drohe, so die DGB-Vizechefin zur taz, „die totale Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt“. Alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie ABM oder Umschulungen müßten dann dem Rotstift zum Opfer fallen.

Nach 1994 und 1995 hatte das Bundesarbeitsministerium auch den BA-Etat für 1997 gegen den Widerstand der Mehrheit der Selbstverwaltungsgremien durchgesetzt. Statt der geforderten 105 Milliarden genehmigte man der Behörde nur 100 Milliarden. Den beantragten Bundeszuschuß von 9,4 Milliarden strich man auf 4,1 Milliarden zusammen. Man rechnete auf der Basis einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit für 1997 von 3,95 Millionen.

Wie schon in den Jahren zuvor auch, stellte sich jedoch schnell heraus, daß man sich gründlich verkalkuliert hatte. Jagoda geht mittlerweile von einer Durchschnittszahl von 4,2 bis 4,3 Millionen Arbeitslosen für 1997 aus. Im Schnitt kosten aber schon 100.000 zusätzliche Arbeitslose die BA gut drei Milliarden Mark mehr. Die avisierten Einsparungen durch verschärfte Zumutbarkeitsregelungen und Kürzungen für ältere Arbeitslose fallen angesichts der erhöhten Arbeitslosigkeit kaum ins Gewicht. Bis Ende Mai standen in Nürnberg Ausgaben von 44,5 Milliarden lediglich Einnahmen von 36,4 Milliarden gegenüber. Experten rechnen mit einem BA- Defizit von mindestens 14 Milliarden Mark am Jahresende. Bei einem Bundeszuschuß von 4,1 Milliarden bleibt ein Loch von knapp 10 Milliarden.

Wer aber soll dies bezahlen? Um nicht wie in den Jahren zuvor zum Ausgleich dieses Defizits am Jahresende zusätzliche Milliardenbeträge nach Nürnberg überweisen zu müssen, hat das Bundesarbeitsministerium in diesem Jahr erstmals festgelegt, daß die Bundesregierung „etwaige Mehrausgaben im Haushalt der Bundesanstalt im Jahresverlauf nur mit der Maßgabe genehmigen“ werde, daß „diese durch Einsparungen an anderer Stelle ausgeglichen“ würden. Da die Zahlung von Arbeitslosengeld und -hilfe eine Pflichtleistung ist, könnte die BA nur bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik sparen. Schon vergangenen Dezember hatte der DGB angekündigt, man werde diese Passage rechtlich prüfen lassen. „Unsere Juristen sehen darin keine zwingende Vorschrift“, faßt Engelen-Kefer das aktuelle Prüfergebnis zusammen. Der Bund müsse das Defizit „auf jeden Fall tragen“, zumal die Schätzung von 3,95 Millionen Arbeitslosen schon damals „wissentlich falsch“ gewesen sei.

Auch bei der Bundesanstalt sieht man es ähnlich. Pressesprecher Schütz betont, daß der Haushaltsentwurf mitsamt der umstrittenen Passage auf der Grundannahme der 3,95 Millionen Arbeitslosen genehmigt worden sei. Wenn die Arbeitslosigkeit nun höher liege, könne „dieser Passus nicht greifen“.

Engelen-Kefer befürchtet aber, daß Waigel den Passus als zwingende Option betrachtet. Dafür spreche, daß die BA in diesem Jahr ihre Ausgaben immer nur quartalsweise genehmigt bekommen habe. „Das ist völlig neuer Usus“, betont sie. Bisher seien nur die ersten beiden Quartale genehmigt. Wenn in den nächsten Tagen nicht grünes Licht für das dritte Quartal komme, dann käme die aktive Arbeitsmarktpolitik zum Erliegen.

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