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Kurz nach dem Mauerfall entdecken Jugendliche in Berliner Kellern eine Musik namens Techno. Die taz ist in dieser Zeit noch weitgehend mit anderen Sounds, von Punk bis Independent, beschäftigt. Die Botschaftslosigkeit von Techno ist der alt

Christoph Schultheis: Hat die taz Techno nun verschlafen?

Tobias Rapp: Für die Jahre 89 bis 91, als Techno gerade in Berlin losging, die legendären Urzeiten also, gibt es im elektronischen taz- Archiv gerade mal neun Einträge zu den Stichwörtern „Acid“, „House“ und „Techno“, aber mehr als 200 zu „Punk“, „Rock“ und „Independent“. Das ist doch ein ziemliches Mißverhältnis, oder?

Groß: Also wenn du damit meinst, daß die taz kein Techno- I-can-feel-it-Blatt der ersten Stunde war ... das war sie sicher nicht. Wie auch? Die Zeitung wurde ja nicht 1989 von Zwanzigjährigen gegründet, sondern großenteils von Leuten gemacht, die zu dem Zeitpunkt mit ihren Erfahrungen aus den Achtzigern oder gar noch Siebzigern den Neunzigern gerecht zu werden versuchten, und das hieß nach dem Mauerfall thematisch bevorzugt: Stasidebatte, Asylpolitik, „Wohin geht Deutschland?“ und „Was ist überhaupt noch links?“. Die härteren Themen. Und weniger Populärkultur, die ja immer dieses Image des Easy going hat. Man muß aber auch dazu sagen, daß es ein Ressort Musik mit dem Schwerpunkt auf Popmusik erst seit Ende 92 gibt, was eine vergleichsweise kurze Laufzeit ist. In der Zeit allerdings ist Techno da draußen so big geworden, daß die Anfänge in irgendwelchen Kellern im nachhinein als Gründerzeit pathetisiert werden.

Rapp: Die Fiktion einer Stunde Null. Wie alles anfing. In welcher historischen Sekunde. Wer dabeiwar und wer nicht.

Groß: So in etwa. Es ist wie beim Kennedy-Mord, nur mit anderer Gewichtung: Wo warst du, als Techno geboren wurde?

Schultheis: Was war denn genau der taz-Blickwinkel zu Beginn der Neunziger?

Rapp: Gut, daß die Elektronik mittlerweile alles abrufbar gemacht hat. 1990 zum Beispiel gab es mal einen sehr guten Überblickstext zu Chicago-House, doch dann kam nicht mehr viel. Mal hier was, mal da was, aber eben vereinzelt. Der erste Text, in dem Techno, damals noch Acid-House, überhaupt auftaucht, ist über eine Acid-House-Party im Fernsehturm am Alex, noch vor dem Mauerfall. Und da geht es halt vor allem darum, wie obskur das ist, daß im Osten, in der immer noch real existierenden DDR, eine Party stattfindet, zu der unheimlich viele Leute aus West-Berlin anreisen und wo dann eine Nebelmaschine ist und Westmusik läuft, aber alles ist Ost und ungeheuer schräg und...

Schultheis: Das ist doch irgendwie der taz-Approach.

Groß: Ja, man erkennt den Sound.

Rapp: Die ersten Berichte über die Love Parade 91 und 92 fangen dann immer an mit: Sowieso aus Westdeutschland steht am Ku'damm und versteht die Welt nicht mehr. Das ist natürlich ganz passend, weil ich beim Lesen immer den Eindruck hatte, daß auch der jeweilige Autor die Welt nicht mehr versteht. Aber der Tenor ist: „Was soll denn das“, „Die sehen ja alle lustig aus“, und „Die Musik ist ja auch ganz schön laut“ und dergleichen.

Groß: Alles so schön bunt hier – das ist eben der linksalternative Blick vom Anfang der Neunziger auf die neue Jugend, der im nachhinein sicher etwas Uncooles hat. Da kommt ein Bruch zur Sprache. Andererseits gesteht dieser Blick sich die Verwunderung zu und tut nicht so, als wäre er immer schon dabeigewesen. Insofern ist er nicht kalkuliert. Einer der wichtigsten taz-Grundsätze lautet für mich: Etwas, was in dem Moment nicht da ist, wird auch nicht herbeigeschrieben, etwa, weil man die Facette, das Lebensgefühl eins zu eins im Blatt haben will. Oder weil Chefredakteure mit Blick auf die Auflage danach verlangen. Man kann in der Situation nur die Apparate öffnen für SchreiberInnen, die das von innen heraus füllen. Gerade in dem Punkt halte ich die taz für ziemlich durchlässig und fähig zur Selbstmodernisierung.

Rapp: In den Jahren 89 bis 91 hat die Zeitung diese neuen Autoren aber nicht gerade angesogen.

Groß: Kein Blatt hat das zu der Zeit. Was nicht nur was mit den Stärken und Schwächen der verschiedenen journalistischen Zugänge zu tun hat, sondern mit dem Verhältnis von Techno zum geschriebenen Wort überhaupt. In dem Beispiel, das du zitiert hast – der fassungslose Linksalternative am Ku'damm –, ist ja auch ein Kommunikationsziel von Techno erreicht, etwas Paradiesisches: gar nicht mit Worten zu kommunizieren, nur mit Sounds. Anders sein, vielfältig und unerreichbar von der Welt der Argumente, der Politik, der Sachzwänge und Pädagogik. „We are different“ war ja mal dieser Minimal-Slogan auf einer der Maydays, und über die Botschaftslosigkeit von Techno als Bewegung ist ja schon einiges gesagt und geschrieben worden.

Schultheis: Auf welcher Seite der Schranke seht ihr euch in dem Bild selbst – Wort oder Sound?

Rapp: Der neue Sound, das war damals im Tresor natürlich die eigentliche Offenbarung. Das hatte, genau wie es immer beschrieben wird, nicht viel mit Stars zu tun, wer da jetzt gerade auflegt und ob der angesagt ist. Es war wirklich dieses geile Bumbumbum, und so ging das eine ganze Weile in irgendwelchen Kellern in Berlin- Mitte, die man sich einfach genommen hat. Eine Eroberung von Räumen. Es war kein Widerspruch, abends da zu sein und dann wieder die Sendung von Marusha auf DT64 zu hören, „Rave Satellites“, nicht zuletzt, weil alles damals von außen nicht wahrgenommen wurde.

Groß: Techno noch allein zu Haus.

Rapp: Es war schon eine große Spielwiese für durchgeknallte Leute, die nirgends in die Schranken verwiesen wurden. Natürlich haben wir auch ein paar philosophische Versatzstücke zusammenmontiert, nur war das Spaß. Das sollte nicht viel bedeuten.

Groß: Ich glaube, es hat ziemlich viel mit der Macht von Klängen zu tun, daß ich Musikredakteur geworden bin, etwas darin ist dem Intellekt prinzipiell überlegen. Aber das Initiationserlebnis mit Techno habe ich so nicht.

Schultheis: Keine Infektion mit dem Partyvirus?

Groß: Nicht mehr im Sinne der ganz großen Pubertätserweckung. Ich verstehe die Musik als Track, als elektronische Bastelei, nicht in meinem Innersten, wie ich etwa den Song verstehe, sie ist mir zu abstrakt und repetitiv. Ich tue aber auch nicht so, als ob das meine ureigene Perspektive wäre. Selber Texte über Techno habe ich erst geschrieben, als Techno über sich selbst nachzudenken begann. Das sagt natürlich auch was über mich aus.

Rapp: Regelmäßige Berichterstattung beginnt doch erst, wo Techno selbstreflexiv geworden ist, wo das Kind zu sprechen anfängt und Bücher zur Bewegung erscheinen. Das ist dann wie ein Plopp, etwa vor drei, vier Jahren. Da gibt es plötzlich einen Modus, darüber zu reden und Bezüge herzustellen, die über Überblicksartikel oder die Party am Alex, die ja vor allem von ihrem Obskuritätswert lebt, hinausgehen.

Groß: Das ist aber doch auch der Punkt, wo Sprache bei der Sache überhaupt erst nötig wird, wo plötzlich ein Bewußtsein entsteht, daß auch Techno nicht aus dem Nichts kommt, wo die Suche nach Vorläufern losgeht und man merkt, daß man in der Geschichte nicht allein ist. Der Moment wurde in der Techno-Welt selbst oft als das Ende der ganz großen Party beschrieben. Und tatsächlich ist es eine Brechung des primären Narzißmus, wenn ein zweites Verständigungssystem neben die große Mutter Sound tritt, aber andererseits beginnen doch hier erst die komplexeren Gedanken und die Freuden der Selbstaufklärung. Die Kinder fressen ihre Rave-o-lution.

Rapp: Richtig daran ist, daß erst mit dem Ende der Unsichtbarkeit, dem klassischen Underground- Dasein von Techno, die Unübersichtlichkeit begann. Und klar wurde, daß sich bereits so etwas wie Mythen des Ursprungs gebildet haben. Etwa die Vorstellung eines Goldenen Zeitalters, in dem die Szene angeblich noch intakt war, mit anschließendem kommerziellen Sündenfall. Was ja Quatsch ist, weil auch auf den illegalen Partys Leute sich 'ne goldene Nase verdient haben und der Underground immer schon zugleich Overground war oder darauf ausgerichtet.

Groß: Das ist dem System eben, vielleicht anders als bei vorausgehenden Jugendbewegungen, eigengesetzlich mitgegeben.

Schultheis: Seit mindestens drei Jahren ist Techno ja nun massiv angekommen, auch in den etablierten Medien.

Groß: Das stimmt, alle wollen Techno, Techno, Techno, nur hat das mit der Musik selbst kaum noch etwas zu tun. Techno ist heute zu einer Metapher für eine umfassende gesellschaftliche Modernisierung geworden, so sexy wie das Internet, so unhintergehbar wie die Computerisierung. Alle wollen teilhaben an dem Glamour, alle haben ein wenig Angst, sie könnten womöglich nicht mehr mithalten mit der Entwicklung. Da ist auch eine kollektive Hysterie im Gange, eine Werbung um das Weltenkind Techno. Techno ist Globalisierung, weltweites Weben, Gentechnologie, geklonte Subjektivitäten. Aber eben auch die Benutzung von Maschinen gegen die Gebrauchsanweisung, Ökologie mit neuen Mitteln, Cyber-Geschlechtlichkeit, Reden über die Kontinente hinweg. Techno-Berichterstattung heißt für mich, diese Prozesse neben der Musik zu verfolgen und zu schauen, wie sich neue Haltungen herausbilden. Das alles am Leitfaden des primären Produkts, der Musik. Dazu aber muß der Ball auch ein wenig flachgehalten werden. Gar keinen Sinn hätte es für mich gemacht, blind auf den Rave-Train aufzuspringen und eine pittoreske Live-vor-Ort-mit- dabei-Reportage nach der anderen zu drucken – heute weniger denn je.

Rapp: Je mehr Techno sich diversifiziert, Zellteilung betreibt, immer unübersichtlicher wird, mal Jungle heißt, dann wieder Drum 'n' Bass oder Darkness, desto weniger gibt es aber doch so etwas wie einen Zug, der zu besteigen wäre. Bemerkenswert ist, daß vor ein, zwei Jahren, als Jungle plötzlich das große neue Ding sein sollte, alle – von Stadtmagazinen wie Zitty bis hin zur Spex – das enorm aufgeblasen haben. So viele Partys gab es gar nicht wie Artikel darüber. Die Angst, noch einmal etwas zu verpassen, ist schon enorm.

Groß: Da gilt es, manch kognitiven Widerspruch auszuhalten.

Rapp: Widerspruch rules o.k.

Groß: Und Scholastik ist out.

Schultheis: Es ist vielleicht mehr The Future Sound of Postmoderne. Oder „Zweite Moderne“, wie die Edition Suhrkamp das neuerdings nennt. Sorge um das „eigene Leben“.

Groß: Man weiß ja auch wirklich nicht, wie Techno sich in zehn, zwanzig Jahren darstellen wird und welche Umwälzungen noch kommen. Rock 'n' Roll ist heute gewissermaßen auch in seiner Hardware durchschaut als Musik eines männlich geprägten, entfesselten Individualismus, der noch über unbegrenzte Rohstoffe zu verfügen meinte und, bildlich gesprochen jetzt, im offenen Chevy über den Highway braust. Prä-Energiekrisen-Musik. Diese Modernisierung ist an ein Ende gelangt. Aber im elektronischen Netz ist alles, alles im Fluß. Es kann auf eine weitere öde, kapitalistische Selbstreformierung hinauslaufen, es kann aber auch sein, daß der Prozeß an seinen Rändern oder sogar aus seiner Mitte etwas ganz Neues generiert. Wahrscheinlich wird das anders aussehen als die Vorstellungen, die bislang darüber kursieren. Es hilft nichts, die Entwicklung heilsgeschichtlich zu überhöhen oder im Gegenteil zu behaupten, alle Widerstandspotentiale seien längst von der großen bösen Techno-Kontrollgesellschaft gefressen worden. Man kann auch nicht einfach hergehen und sagen, die Love Parade sei die Leistungsschau der Wiedervereinigung, wie der Spiegel das tut. Bloß der Slogan, der stimmt schon: We are one world – das ist unhintergehbar geworden. Moderation: Christoph Schultheis

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