: EU-Getreidebauern machten jahrelang besonders guten Schnitt
■ In den zurückliegenden vier Jahren wurden 16,5 Milliarden Mark zuviel Subventionen an die Landwirte gezahlt
Brüssel (taz) – Die EU-Regierungen lassen sich immer neue Sparmaßnahmen einfallen, nur an die Bauern wollen sie nicht heran. Ausgerechnet EU-Agrarkommissar Franz Fischler rechnet ihnen nun vor, daß seit 1993 rund 16,5 Milliarden Mark zuviel an die Getreidebauern gezahlt wurden.
Fischler drängt seit langem darauf, die Zuschüsse zu senken. Aber davon wollen weder die Landwirtschaftsverbände noch die Agrarminister der Mitgliedstaaten etwas hören. Dabei geht es um Ausgleichszahlungen für Verluste, die in Wirklichkeit viel niedriger ausgefallen sind. Bei der Agrarreform 1992 vereinbarten die EU-Regierungen, die Garantiepreise für Getreide deutlich zu senken. Das war eine Notbremse, weil die hohen Preise zu enormen Überschüssen geführt hatten, zu Getreidebergen, deren Lagerung allein die EU Milliarden gekostet hatte. Denn die Preise, die den Bauern von der EU garantiert wurden, lagen weit über den Weltmarktpreisen, die sich nach der Nachfrage richten. Als Entschädigung bekamen die Bauern feste Einkommenshilfen zugesagt, rund 600 Mark pro Hektar, die unabhängig vom Ertrag gezahlt werden. Schließlich sollten die Bauern nicht weniger verdienen als vorher. Doch die Agrarminister waren damals von einem weiteren Verfall der Getreidepreise ausgegangen. In Wirklichkeit aber fielen die Preise kaum, zeitweise stiegen sie sogar.
Auf dem Weltmarkt wurde das Getreide sogar knapp. Schuld daran waren schlechte Ernten in anderen Regionen der Welt. Die EU-Kommission hat nun ausgerechnet, daß die Ausgleichszahlungen viel zu hoch sind und den Bauern Verluste erstattet werden, die sie gar nicht haben. Allein im Wirtschaftsjahr 1995/96 hat die EU danach acht Milliarden Mark zuviel ausgezahlt. Doch mit Ausnahme von Schweden und Großbritannien sperren sich die EU-Regierungen gegen eine Kürzung der Hektarbeihilfe. Ihnen sitzen die Bauernverbände im Nacken, die fürchten, daß dies nur der Anfang eines Streichkonzerts sein könnte. So verwahrte sich gestern auch Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) gegen den Vorwurf zu hoher Ausgleichszahlungen für die Getreidebauern. Es werde offensichtlich nach Vorwänden gesucht, eine Kürzung dieser Zahlungen zu rechtfertigen.
Daß die Agrarausgaben der EU in den nächsten Jahren reduziert werden müssen, ist jedoch ein offenes Geheimnis. Die EU hat einigen Ländern Mittel- und Osteuropas den Beitritt zur Gemeinschaft fest in Aussicht gestellt. Schon jetzt machen die landwirtschaftlichen Subventionen mit jährlich über 80 Milliarden Mark mehr als die Hälfte des EU-Haushalts aus. Eine Ausweitung des EU-Agrarsystems etwa auf Polen oder Ungarn wäre kaum finanzierbar. Allein in Polen arbeitet jeder vierte in der Landwirtschaft.
EU-Agrarkommissar Fischler sucht nach Möglichkeiten, die Ausgaben jetzt zu kürzen, um einen harten Aufprall in einigen Jahren zu vermeiden. Doch die Regierungen verzichten lieber auf das Geld, als sich mit den Bauern anzulegen. Alois Berger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen