: Bis zu 15.000 Palästinenser will die Bundesregierung in der nächsten Zeit in den Libanon abschieben. Über ein Rückführungsabkommen wird gegenwärtig intensiv mit Beirut verhandelt. Die Berliner Ausländerbehörde geht sogar davon aus, daß es b
Bis zu 15.000 Palästinenser will die Bundesregierung in der nächsten Zeit in den Libanon abschieben. Über ein Rückführungsabkommen wird gegenwärtig intensiv mit Beirut verhandelt. Die Berliner Ausländerbehörde geht sogar davon aus, daß es bereits Ende Juni unterzeichnet wird. Im Libanon werden sich die Abgeschobenen ohne Aussicht auf Jobs, Wohnungen und gesellschaftliche Akzeptanz durchschlagen müssen. Das Land würde sie am liebsten so schnell wie möglich wieder loswerden
Der „Menschenmüll“ ist im Libanon unerwünscht
Seit zwei Wochen ist Jussuf Mansur* wieder im Libanon. Am 27. Mai ist der 32jährige Libanese mit seiner Frau und zwei Kindern aus Deutschland ausgereist – freiwillig: „Damit wir nicht morgens um fünf abgeholt werden wie unsere Nachbarin in Emstetten mit ihren sieben Kindern. Der haben sie nur eine halbe Stunde Zeit gelassen, um ihre Sachen zu packen.“
Mansur, der 1990 während der letzten Phase des Bürgerkriegs aus dem Libanon flüchtete, sollte ursprünglich schon 1994 abgeschoben werden – ohne seine Frau, die damals mit dem zweiten Kind schwanger war. Nach zeitweiser Illegalität und Auslieferungshaft wurde seine Duldung verlängert, bis im Mai auch die Papiere für die Abschiebung seiner Frau fertig waren. Jetzt wohnt die vierköpfige Familie in der Zweizimmerwohnung der Eltern im übervölkerten Westbeiruter Viertel Sokak al- Blat. In halb weggesprengten Stockwerken haben sich dort Kurden, Schiiten und Palästinenser mit Spanplatten ihren Wohnraum eingeteilt. Wenn es regnet, läuft das Wasser in Strömen die Innenwände herunter.
Aussichten auf Arbeit hat Mansur nicht: „In meinem Beruf als Autoelektriker konnte ich die sieben Jahre in Deutschland nicht arbeiten, also stellt mich jetzt niemand ein. Und wenn ich einen Job finde, verdiene ich höchstens 500 Mark. Das reicht gerade, um eine Wohnung zu mieten.“ Rund eine Million billiger syrischer Arbeitskräfte ermöglicht es den Arbeitgebern, die Löhne unter das Existenzminimum zu drücken.
Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot wird die große Mehrheit der Libanesen treffen, deren Abschiebung in Beirut für die nächsten Monate erwartet wird. Noch schlechter sind die Aussichten für die bis zu 15.000 Palästinenser, die ebenfalls unter dem deutsch-libanesischen Rückführungsabkommen abgeschoben werden sollen. Die grundsätzliche Verweigerung der Arbeitserlaubnis durch die libanesischen Behörden zwingt die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon in illegale und damit meist besonders schlecht bezahlte Jobs.
Auf etwa eine halbe Million wird die Zahl der Palästinenser im Land geschätzt. Nach Angaben der UN-Palästinenserhilfsorganisation UNWRA leben 60 Prozent von ihnen unter der Armutsgrenze, die meisten in überfüllten Flüchtlingslagern. Sie sind sogenannte 48er-Flüchtlinge: Palästinenser, die nach der Gründung Israels vertrieben wurden – ohne Chance auf Rückkehr.
Die libanesische Regierung würde sie am liebsten sofort loswerden. Die Palästinenser – mehrheitlich sunnitische Muslime – bringen das politisch-religiöse Proporzsystem des Zedernstaats durcheinander. In dem multireligiösen Land werden Posten zwischen christlichen Maroniten, muslimischen Sunniten und Schiiten und Drusen aufgeteilt. Bereits 1994 erklärte Außenminister Faris Bueis, etwa 20 Prozent der Palästinenser aus dem Libanon sollten in die Autonomiegebiete im Westjordanland und Gaza-Streifen gehen. Den Rest sollten arabische und andere Staaten aufnehmen: „Australien, Kanada und vielleicht die USA sollten den Kindern des palästinensischen Volkes Vorrang einräumen.“ Als Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi im Herbst 1995 etwa 10.000 aus dem Libanon stammende Palästinenser per Schiff zurückschicken wollte, machte der Libanon seine Häfen dicht. Sein Land sei „keine Halde für Menschenmüll“ erklärte Minister Nikolas Fattusch.
Die ohnehin katastrophalen Wohnverhältnisse in den Palästinenserlagern am Stadtrand von Beirut werden sich durch die Wiederaufbauprogramme der Regierung weiter verschlechtern: „Wir rechnen damit, daß dieses oder nächstes Jahr mit dem Abriß großer Teile der Lager Burdsch al-Baradschneh und Schatila begonnen wird, um Platz für die neuen Autobahnen zu schaffen“, erklärt Kassim Aina, Generaldirektor des palästinensischen Wohlfahrtsverbandes.
Besonders schwierig wird die Situation für die Kinder der Abgeschobenen. Da Palästinenser keinen Zugang zu staatlichen libanesischen Schulen haben, werden die meisten dieser Kinder in die Schulen der UNWRA gehen müssen. Bereits jetzt werden in diesen Schulen mehr als vierzig Kinder je Klasse in zwei Schichten täglich nach einem stark reduzierten Lehrplan unterrichtet. Auf Schüler ohne schriftliche Arabischkenntnisse ist dort niemand eingerichtet. Die ohnehin hohe Quote von Analphabeten in den Lagern (nach einer palästinensischen Studie ca. 40 Prozent) wird wohl weiter steigen.
„Man treibt uns immer weiter in die Ecke“, meint Kassim Aina, „und wundert sich dann, wenn es zur Gewalt kommt“. Andere EU- Staaten könnten dem deutschen Beispiel folgen, fürchtet er. Sein Vorschlag an die deutschen Behörden: „In Palästina ist genug Platz. 25 Prozent aller Wohnungen in den jüdischen Siedlungen stehen leer. Wenn die Deutschen unsere Leute wirklich loswerden wollen, sollen sie sie nach Haifa und Jaffa schicken. Das ist schließlich ihre Heimat, nicht der Libanon.“ Jiri Wittman, Beirut
*Alle Namen von der Redaktion geändert
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