„Verpolitisierte Hilfe“

■ Caritas-Mitarbeiterin Käthi Zellweger über Ausmaß und Ursache der Hungersnot

Käthi Zellweger (45) ist Direktorin für internationale Zusammenarbeit bei Caritas mit Sitz in Hongkong. In den letzten zwei Jahren bereiste sie zehnmal nach Nord- Korea, zuletzt vor sechs Wochen

taz: Welche Anzeichen für Hunger haben Sie gesehen?

Zellweger: Im Vergleich zu früheren Besuchen sahen die Kinder sehr viel schlechter aus. Ich habe in Tagesstätten stark geschwächte Kinder gesehen, dazu viele leere Stühle in den Schulen. Die Kinder kommen nicht mehr, weil es dort kein Mittagessen mehr gibt. In den Krankenhäusern liegen kaum noch Patienten. Die Medikamentenschränke sind leer, es gibt nichts mehr zu essen. Bei Familienbesuchen habe ich nie jemanden gesehen, der eine Schale Reis gegessen hat. Es war immer eine graue, grüne, braune Suppe mit Kräutern, Rinde, Wurzeln – es wird alles gegessen, was eßbar ist.

Ist das bereits eine Hungersnot?

Es ist ein langsames Abgleiten in eine Hungersnot. In Nord-Korea ist das Verteilersystem staatlich geregelt. Das heißt, die Knappheit trifft die gesamte Bevölkerung. Das ist eine gleichmäßig verteilte Armut.

Was sind die Ursachen für die Not, nur die Überschwemmungen oder auch Mißwirtschaft?

Es ist ist eine Kombination aus drei Jahren mit Naturkatastrophen und Strukturproblemen.

Was heißt das?

Es mangelt an vielem: Saatgut, Dünger, Pestiziden, Werkzeugen und Geräten für die Landwirtschaft. Jetzt geht es einerseits um Nothilfe, damit eine Hungersnot vermieden wird. Dann braucht das Land aber auch dringend langfristige Hilfe, damit die nächste Ernte gut ausfällt.

Ihre Hilfsgüter gehen durch die Hände von staatlichen Repräsentanten. Besteht nicht die Gefahr, daß die sich ihren Teil abzweigen?

Ich habe nicht den Eindruck. Wir arbeiten eng mit dem Welternährungsprogramm der UNO zusammen. Wenn wir nicht selbst vor Ort sind, beobachtet diese Organisation die Verteilung unserer Hilfsgüter. Wir wissen genau, in welcher Provinz und in welchem Ort unsere Hilfe ankommt.

Westliche Regierungen zögern bei der Hilfe für Nord-Korea – aus politischen Gründen.

Die Nord-Korea-Hilfe ist verpolitisiert worden. Uns geht es um Solidarität mit Menschen in Not. Man darf ein Volk nicht einfach aushungern, weil man politisch nicht auf der gleichen Wellenlänge ist. Zudem besteht die Gefahr, daß sich dann Flüchtlingsströme in Richtung China oder Süd-Korea bewegen. Das würde die ganze Region destabilisieren. Interview: Thomas Dreger