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In die saure Gurke beißen

Essig-Kühne verläßt den Standort Hamburg zum 275. Betriebsjubiläum  ■ Von Heike Haarhoff

Das Jubiläum findet in aller Stille statt. Die Fischkunden von einst, für die die Firma Kühne jahrhundertelang Essig zum Einlegen ihrer Heringe produzierte, haben Altona längst verlassen und sind an die Küste gezogen. Und heute, am 275. Geburtstag des traditionellen Hamburger Essig-, Gurken-, Kraut- und Senf-Herstellers, sind nicht einmal mehr die Mitarbeiter vor Ort zum Feiern da: In den Bahrenfelder Produktionshallen für Feinsaures, deren Jahresproduktion bisher bei 18.000 Tonnen lag, stehen seit Wochen die Maschinen still. Essig Kühne gibt den Standort an der Stresemannstraße auf. Von den zuletzt 270 Beschäftigten in der Herstellung behalten nur 70 ihren Arbeitsplatz – außerhalb Hamburgs.

Die Hamburger Produktion wurde zunächst auf die anderen Kühne-Werke in Lübeck, Schweinfurt und Straelen verteilt. Im Sommer 1998 dann soll auf 250.000 Quadratmetern und für 50 Millionen Mark eine neue Essigfabrik im mecklenburgischen Hagenow als Zentrale für Norddeutschland eröffnen. Einzig die Verwaltung bleibt in Hamburg. Was mit dem Grundstück passiert, ist unklar. „Wir haben einen Sozialplan gemacht. Viele wollten nicht mit nach Hagenow umziehen, alle hätten wir sowieso nicht mitnehmen können.“Axel Preuss-Kühne, der als Marketing-Chef der Geschäftsleitung des Familienunternehmens angehört, klingt wenig feierlich. „Aber so ist das nun mal.“In Hamburg sei man „aus allen Nähten geplatzt“. Als im November 1995 auch noch die Lagerhallen ausbrannten, „war der Zeitpunkt für eine Neuerung da“. Vergeblich versuchte die Stadt, Kühne an der Elbe zu halten: Der Neubau in Ostdeutschland war wegen der damit verbundenen Investitionshilfen attraktiver.

Modernere Maschinen ersetzen menschliche Arbeitskraft. Doch an dem „Herstellungsprozeß für Essig hat sich wenig verändert“, erklärt Preuss-Kühne. Wie vor 275 Jahren, als die ursprünglich aus Berlin kommenden Kühnes ihre saure Spezialität zu vermarkten begannen, wird auch heute noch 98prozentiger Alkohol als „Grundstoff“in ein Faß mit Essigbakterien gekippt. Unter Luftzufuhr zersetzen diese den Alkohol zu Säure. Hahn auf – fertig ist der Essig. Sein Geheimnis liegt einzig „in den Kräutern, die ihm noch zugegeben werden“. Und diese Familienrezepte hüten die Nachkommen des Firmengründers Carl Kühnes wie einen überlieferten Schatz.

Allerdings sei „die Branche relativ stagnativ“, grämt sich der Marketingchef. Essig trägt heute nur noch zehn Prozent zum Kühne-Jahresumsatz von rund 600 Millionen Mark bei. Der Feinkostbereich dagegen macht inzwischen 26 Prozent aus, die Sparte feinsaures Gemüse – Mixed Pickles und ähnliche Produkte – 22 Prozent. Kohl, Gurken und Senf teilen sich den Rest.

In sechs größeren und vier kleineren Betrieben in ganz Deutschland produzieren rund 1.500 Mitarbeiter die 260 verschiedenen Kühne-Artikel, darunter auch Grillsaucen und rote Grütze. Das Sortiment soll gestrafft werden, der Auslandsanteil (rund elf Prozent) mittelfristig steigen. Gegenwärtig betreibt Kühne zwei Essigfabriken in Dänemark und der Türkei und eine Senffabrik in Dijon. Nur über neue Produkte, so Preuss-Kühne, könne das Unternehmen wachsen. Ansonsten wäre bald wohl wirklich alles Essig bei Kühne.

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