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Fahrstuhl zum Schubert

■ Andràs Schiff: geheimnislose Piano-Routine in der Musikhalle

Im Schubertjahr drei Schubert-Sonaten an einem Abend zu spielen ist normal. Die Wanderer-Fantasie dabei zu haben und die letzte A-Dur-Sonate, ist erfreulich, nur nicht sehr originell. Das letzte der genannten Stücke aber mehr abzuspulen als abzuspielen, das ist mindestens nicht besonders nett.

Vielleicht lag es am Wetter? Der Donnerstag war wirklich schwül. Aber Andràs Schiff, der ungarische Pianist, ist ein Profi, er sollte wissen, wie man mit Wetterlagen umgeht, wie man sie überspielt und damit fertig wird. Er wußte es nicht.

Die Sonate E-Dur D 459 fiel aus dem Rahmen, denn sie wird selten gespielt. Man konnte studieren an ihr, wie der frühe Schubert von 1817 (da war er gerade zwanzig) noch Mozart im Ohr hatte, aber schon Schubert im Sinn und Beethoven in den Fingern. Im ersten Thema des zweiten Satzes etwa spielen Triller eine Rolle, die Melodien klingen nach Mozart, bis sie abtauchen in Schuberts frühromantische Verwicklungen. Es ist ein kammermusikalisches, ein leises Werk ohne vollgriffige Kraftstellen, dessen intimer Charakter Andràs Schiffs unaufdringlich-deutlichem Spiel entgegenkam. In der Wandererfantasie D 760 zeigte dieses Spiel gleichsam ordnende Qualitäten, allem voran der punktierte Rhythmus der Eröffnung, der den Hörer durch alle Höhen und Tiefen dieser Vagabundage in die Freiheit der Fantasie begleitet. Schon hier allerdings vermißte man beethovensche Ungebärde, Kantigkeit und Nachdruck, die Schubert der Weichheit seiner Trauer so kunstfertig entgegensetzt.

Was der Höhepunkt hätte sein sollen, wurde nach der Pause dann zum Tiefpunkt. Bei Schuberts Sonate A-Dur D 959, seiner vorletzten, schlug die Kultiviertheit von Schiffs Spiel um in spannungs- und geheimnislose Routine. Schubert rennt hier, immer aufs Neue, gegen die Wand einer übermächtigen Konvention, findet indes wieder und wieder zurück in die leise Stärke seiner Liedthemen und Tänze und mithin in die Kraft zum Neuansatz. Bei Schiff wirkte er wie einer, der mit dem Fahrstuhl gleitet durch all das.

Stefan Siegert

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