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Eine grüne Überlandfahrt

Im Bus mit der Vorsitzenden des Ausschusses für Fremdenverkehr, Halo Saibold, durch die thüringische Provinz  ■ Von Christel Burghoff

„Jeder Tag ist ein Existenzkampf!“ Der Hotelier dieses idyllischen Winkels im schönen Thüringer Wald sagt dies nachdrücklich. Es klingt nach Übertreibung, denn „alles, was Sie hier sehen, das Gasthaus und die neuen Gästezimmer, alles gehört mir“. Aber schnell korrigiert er sich: „Nein – es gehört der Bank.“ Wenn es mit dem Tourismus nicht so richtig floriert, dann ... Na ja, dann muß er sein ererbtes Gehöft in der Tat abschreiben.

Halo Saibold, grüne Bundestagsangehörige und Vorsitzende des Ausschusses für Fremdenverkehr, hört sich die Nöte ihrer sanfttouristischen Basis an. Sie bereist deutsche Regionen. Zwecks „Realitätsprüfung“, wie sie sagt, um in den lichten Bonner Höhen keine abgehobene Politik zu machen. Und natürlich, weil Wahlkampf angesagt ist. Die brandenburgische Schorfheide liegt schon hinter ihr. Jetzt ist Thüringen dran. Und wo immer ihr Kleinbus Gesprächsrunden mit dem touristischen Mittelstand ansteuert, klagt die Basis und unterbreitet Verbesserungsvorschläge. „Wir haben doch etwas anzubieten!“ sagen die Leute allerorten. Natürlich haben sie das: ein echtes deutsches Mittelgebirge mit viel Wald und engagierten Menschen, die es dem Gast gemütlich machen wollen.

Doch heutzutage gedeihen hier im Thüringischen nicht bloß Fichten und immer nur Fichten – es wachsen auch die Untergangsphantasien. In Eisenach, zur Auftaktveranstaltung am ersten Abend, ging es noch ausgesprochen munter zu. Kommunalpolitiker setzten sich über die schlechte Kooperation ihrer Ämter, über Einzelinteressen und die Last der Einsicht auseinander, sich in diesen neuen Zeiten „wie ein Betrieb managen“ zu müssen. Im Stadtparlament und im Kreistag kooperieren Bündnisgrüne mit der CDU. Anlaß genug für Diskussionen mit einer Bundestagsgrünen, meint Martin Berger von den thüringischen Bündnisgrünen. In Eisenach gibt es allerdings auch keinen Grund, das Wegbleiben von Touristen zu beklagen. Der Wartburg- Tourismus schnurrt. 700.000 Besucher zählt diese Stadt jährlich. Es gibt andere Themen: Aus der Perspektive eines „zukunftsfähigen Tourismus“, wie Halo Saibold sanften Tourismus lieber bezeichnen will, bringt der boomende Tagestourismus der Stadt in erster Linie Pkws, aber wenig nachhaltigen Nutzen für die Region. Kurz gesagt: die Touristen verschwinden zu schnell. Man will sie halten. Nur am Rande kommt heraus, daß man kleine, aber effektvolle Servicemängel beheben sollte. Die Wartburg schließt ihre Tore abends viel zu früh und vergrault so abendliche Flaneure. Und die Touristeninformationsstelle ist an Feiertagen geschlossen. Kann man so Touristen werben?

Martin Berger, der Programmchef, hat für die beiden kommenden Tage einen prallen Terminplan für Gespräche und Sightseeing. Über die Höhen des Thüringer Waldes soll es bis zur Rhön gehen und in die Städte Erfurt und Jena. Eine Überlandfahrt abseits der Highlights. Die Attraktion Wartburg, den legendären Höhenwanderweg Rennsteig und auch den modernen touristischen Anziehungspunkt Oberhof auf der Höhe des Thüringer Waldes werden wir nicht zu Gesicht bekommen. Der Politikerbus fährt nach Merkers weiter. Ein Ort irgendwo im Dunklen in Richtung Norden. Ein unbekannter Ort.

Muß man Merkers kennen? Man müßte: Kali-Industrie, Werra-Versalzung, Umweltzerstörung sind die Themen. Ein Alptraum, der sich hier aber wie von selbst erledigt. Ökologisch gesehen. Nach der Wende fusionierte die „Kali und Salz GmbH“ West mit der „Mitteldeutschen Kali AG“ Ost und legte die Grube bei Merkers still. Jetzt wird die Werra nicht mehr versalzen, aber das Ende dieser Renommierindustrie zu DDR- Zeiten bedeutet den Verlust mehrerer tausend Arbeitsplätze. 140 Quadratkilometer unterirdische Wühlarbeit in 500 bis 800 Metern Tiefe stehen uns fürs Sightseeing offen. Zwei Stunden fährt unser Lkw auf der unterirdischen Berg- und Talfahrt durch Tunnel und Hallen. Die monströsen Maschinen, mit denen man – immer dem Salz nach – die Erde unterhöhlte, wurden dagelassen. Der Untertageeffekt ist gewöhnungsbedürftig. Rundum dunkelgraues Gestein, es ist eine irreale Atmosphäre – eben unterirdisch. Wir halten an den Stahltüren von Sicherheitsschleusen und im Untertagemuseum. Eine Informationstafel erinnert daran, daß in den Stollen zur Nazizeit ein KZ, Außenstelle Buchenwald, untergebracht war. Und jede Menge Goldschätze, die gegen Ende des Krieges gehortet wurden. Und dann die Attraktion Kristallgrotte.

Wir sehen die Wunderkammer in echt: einzigartige Salzkristalle von der kleinsten Größe, nämlich der eines Backsteins, bis hin zu den großen mit einem Meter Kantenlänge füllen diese Höhle. Sie ist randvoll von glitzernden Riesenkristallen. Eine Zufallsentdeckung, die ein Bergbaulehrling 1990 machte. „Wir sind noch hier, um Gebirgsschläge zu vermeiden“, sagt der Ingenieur, der uns begleitet. Und natürlich deshalb, um den Tourismus zu fördern. Denn überall, wo die traditionelle Wirtschaft hinüber ist und Arbeitslosigkeit herrscht, soll Tourismus her. 1996 waren immerhin schon 60.875 Besucher im „Erlebnisbergwerk“. Es scheint ein Geheimtip zu sein, der bislang ohne großartige Werbung auskommt.

Wechsel zum Dolmar. Ein „heiliger“ Berg, sagen die Anwohner. Schön und kegelig steht dieser Berg aus Urgestein allein in der Landschaft und bietet herrliche Ausblicke. Hier herrscht der unbedingte Wille zum sanften Tourismus und die kuschelige Atmosphäre einer Bürgerbewegung zur Rettung dieses Berges vor den Aktivitäten einer Steinbruchgesellschaft. Bündnisgrüne, der CDU- Bürgermeister, der Pfarrer, die beiden Heimatforscher, Touristikspezialisten und aktive BürgerInnen sind sich alle einig: „Es ist ein unantastbarer Berg.“ Dafür wollen sie kämpfen. Denn erst nach Abzug der Russen vor ein paar Jahren haben sie ihren Berg wiederbekommen. Wir sitzen dicht gedrängt in der neu erbauten Schutzhütte bei Kerzenschein und Schnittchen und erfahren die ganze Geschichte: Von den Kelten, die hier ein Heiligtum hatten, bis hin zum großen Volksfest am 1. Mai dieses Jahres. Über 10.000 Menschen sind da auf diesen Berg gestiegen. Man könnte meinen, sie hätten ihn besetzt. Dieses Bürgerengagement sollte von der Presse unterstützt werden, meint Halo Saibold. Denn der geplante Basaltabbau sei doch „ein Beispiel für die Unterordnung von Heimatinteressen unter Wirschaftlichkeit“. Eine Haltung, die bei den Betroffenen gut ankommt.

Leichte Zweifel herrschen im Bus, ob es in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit opportun ist, einen Steinbruch zu verhindern. Doch letztendlich stimmt die Richtung: Die Bürger müssen dies selbst entscheiden. Mit ihren tourismuspolitischen Vorstellungen liegt Halo Saibold bei ihren Zuhörern ohnehin nicht verkehrt, denn sie versprechen die Korrektur von Fehlentwicklungen wie beispielsweise die entstandenen touristischen Überkapazitäten. Welcher Gastronom will nicht die Lohnnebenkosten senken („Genau dies wollen wir mit der ökologischen Steuerreform erreichen“) und gleichzeitig die leerstehenden Betten füllen („Wir brauchen Imagekampagnen für Deutschlandurlaub“). Die Steuerbefreiung für Flugbenzin führe zur Wettbewerbsverzerrung und koste uns sechs Milliarden Mark indirekter Subventionen, erklärt sie, und damit müsse Schluß sein. Statt dessen sei eine andere Förderpolitik zugunsten regionaler Wirtschaftsstrukturen nötig. Ein geradezu populistisches Programm. Kritik gibt es allerdings, wenn Vorzeigemodelle wie das Biosphärenreservat Rhön thematisiert werden. VertreterInnen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes nehmen das „Rhönschaf“ aufs Korn. „An der Basis ist alles nicht so rosig wie in der Presse“, erklärt ein Gastronom. Es gebe Absatzprobleme für Schaffleisch. Dabei war das universell verwertbare Rhönschaf einmal das liebste Kind sanfter Strategen, um den Rhön-Tourismus anzukurbeln. Doch die Partnerschaft zwischen Landwirtschaft und Gastronomie funktioniere nicht. „Direktvermarktung darf vor dem Gesetz gar nicht sein“, sagt ein Hotelier. Die Lebensmittel- und Hygienebestimmungen verhinderten, daß die Hotelküche Eier und Milch aus der Nachbarschaft verwenden kann. Für logistische Probleme wie geeignete Vertriebswege und Informationssysteme oder koordiniertes Marketing gibt die Bundesgrüne ihrer Basis jedoch eine Hausaufgabe mit: Es sollten „offene Tourismusforen“ eingerichtet werden mit sogenannten Moderatoren. Unter der Regie dieser Fachkräfte könnten die Konflikte gemanagt werden. Hier könnte behoben werden, was alle beklagen, nämlich die Zersplitterung der Einzelinteressen.

Die abendliche Diskussionsveranstaltung in Suhl ist irgendwie danebengegangen. Zwei Handvoll Besucher diskutieren ziemlich lustlos. Eine PDS-Hochburg, meint der Programmchef. Aber Suhl ist auch eine Stadt. Und Stadt-Effekt bedeutet offenbar: kein besonders schmerzlicher Touristenmangel. Suhl habe sich attraktiv hergerichtet mit Kongreßzentrum und Freizeiteinrichtungen, berichtet eine Vertreterin der Stadtverwaltung. Man bewege sich im Aufwärtstrend. Auf dieselbe entspannte Haltung stoßen wir tags darauf auch in Jena. RepräsentantInnen aus Meiningen, Erfurt und Jena sind versammelt, allesamt Städte, die sich mit anderen wie Gotha, Weimar und Schmalkalden im Verein „Städtetourismus in Thüringen“ organisiert haben. Sie alle profitierten vom „Lutherjahr“ und vom Marketingkonzept „Klassikerstraße“. Ihr Erfolg heißt „Kulturtourismus“. Die touristischen Moden und Trends haben sie begünstigt. Oder spiegelt sich hier nur der alte Gegensatz zwischen progressiven Zentren und dem abgehängten Hinterland wider?

Erfurt ist eine Überraschung. „Florenz kennt jeder“, sagt Halo Saibold, „aber dieses hier?“ Mittelalterliche Brücken wie in Erfurt findet man ansonsten nur im Ausland. Die Altstadt ist weitgehend restauriert. Eine „richtige alte Stadt“, meint unser Stadtführer. Der Erfurter Repräsentant äußert an Bonn eine Bitte: Man möge doch von den Trennungen zwischen Ost- und Westdeutschalnd beziehungseise alte und neue Bundesländer wegkommen.

Und man ahnt, daß die erfolgreichen touristischen Kreise längst über die Klassifizierungen aus der Vergangenheit hinweg sind. Hinweg auch über Aufbruchstimmung und Euphorie. Es herrscht der stinknormale Alltag. Der Alltag für Halo Saibold: In Bonn ihre weitreichenden Vorstellungen durchzusetzen. Denn da liegt noch alles vor ihr.

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