: Neues Haftrecht soll Richtern Dampf machen
■ Bundestag beschloß neues Haftrecht, um Gerichtstermin innerhalb einer Woche sicherzustellen. Opposition sieht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt
Eierdiebe, Schwarzfahrer, aber vor allem die sogenannten „reisenden Täter“, die von einer Demonstration zur anderen fahren, können ab sofort in Untersuchungshaft genommen werden, damit gegen sie in einem beschleunigten Strafverfahren ein Urteil gefällt werden kann. Dies beschloß am Donnerstag der Bundestag mit sämtlichen Stimmen der Koalition und gegen sämtliche Stimmen der Opposition. Dieses Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung passierte schon 1995 den Bundestag, war aber vom Bundesrat nicht genehmigt und deshalb zurück ins Plenum verwiesen worden. Nun klappte es wie geschmiert.
Das neue Gesetz zur „Hauptverhandlungshaft“ ermöglicht, auf frischer Tat ertappte Täter maximal eine Woche in U-Haft zu nehmen. Es zwingt die Richter, während dieser Zeit eine Hauptverhandlung anzusetzen. Die Koalition begründete die Gesetzesänderung mit der „erheblichen erzieherischen und abschreckenden Wirkung“, vor allem auf „gewalttätige Demonstranten“ oder Fußballrowdies.
Massive Kritik an diesem neuen Haftgrund übten gestern der Sprecher der AG-Recht der SPD-Bundestagssfraktion, Harald Georgij und der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck. Beide wiesen darauf hin, daß es bei dieser Haft nicht darum gehe, Beschuldigte einzusperren, bei denen die Gefahr besteht, daß sie vor Prozeßtermin verschwinden. Vielmehr solle mit diesem Gesetz Einfluß auf den Terminplan der Gerichte genommen werden. Es geht bei dieser Haft darum, die Richter unter Druck zu setzen.
Logische Folge, so Georgij, seien enorme Kosten. Die U-Haftanstalten seien schon jetzt überbelegt, sperre man jetzt auch noch Beschuldigte ohne klare Beweislage ein, müßten neue Gefängnisse gebaut werden. Vor allem aber treffe das Gesetz die Falschen. „Reisende Straftäter“ könnten schon heute in U-Haft genommen werden, zudem die, bei denen eine Flucht- oder Wiederholungsgefahr bestehe. Übrig blieben daher, der „Eierdieb und der Schwarzfahrer“, die man sowieso nicht ins Gefängnis stecken würde. Dazu Georgij: „Die Hauptverhandlungshaft verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.“ Und Beck: Das Gesetz bestätigt diejenigen, die schon immer sagten „die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen“.
Protest übten auch Deutsche Anwaltverein sowie der Deutsche Richterbund. Beschuldigte einzusperren, nur um Verfahren zu beschleunigen, widerspreche dem Wesen und der Systematik des Untersuchungshaftrechts. Anita Kugler
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