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Das Techno-Happening wird zur Standortfrage

■ Nachdem im letzten Jahr der Berliner Innenstadtpark Tiergarten im Müll versank, entscheidet jetzt das Verwaltungsgericht über die Route der Love Parade 97

So kann man sich täuschen: 1994 unkte die taz: „Viele halten das Techno-Fieber für erloschen.“ Da war gerade die 6. Love Parade mit 100.000 Teilnehmern über den Berliner Ku'damm getanzt, und die Parade unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ war „auch nicht mehr das, was sie mal war“. Drei Jahre später boomt das Techno-Woodstock ungebrochen, und die Veranstalter rechnen für den 12. Juli mit einer Million Teilnehmer.

Das schafft Probleme. Schon der Umzug vom Ku'damm auf die nicht bebaute Straße des 17. Juni durch den Tiergarten war Konsequenz des explosionsartigen Wachstums. Nach dem Rave- Ereignis 1996 blieb Berlins größter und wertvollster Innenstadtpark allerdings gefleddert zurück: 230.000 Mark Aufwand für die Müllbeseitigung drohten dem Bezirk Tiergarten, Umweltschützer beklagten niedergetrampelte Hecken und verscheuchte Tiere. Fazit: Von der Love Parade 96 werde sich der Park „frühestens in zehn Jahren“ erholen.

Das ficht die Techno-Fans in der Verwaltung des Berliner Innensenators Jörg Schönbohm (CDU) nicht an. Die Parade wurde genehmigt – und zwar als politische Demonstration. Andernfalls nämlich müßten die Veranstalter die Müllbeseitigung zahlen, was das Aus für das Happening der Hunderttausende bedeuten würde.

Der Senat kalkuliert aus Sorge um den Standort („Sonst wandert die Parade nach Düsseldorf ab!“): Das Happening bringt Hunderttausende kaufkräftige Besucher in die Stadt und etwa 10 Millionen Mark an Steuereinnahmen in die chronisch leere Staatskasse. Da muß man nicht begründen, was an einer gigantischen Tanzveranstaltung politisch sein soll. Der PDS- Abgeordnete Benjamin Hoff erklärt das so: „Die CDU findet die Love Parade so toll, weil sie völlig unpolitisch ist. Wäre es eine politische Demonstration, gäbe es Auflagen.“

Die Fraktion der Bündnisgrünen hat eine Route vorgeschlagen, die über die breite Bismarckstraße an der Deutschen Oper vorbei durch das westliche Stadtgebiet führen würde. Doch die Alternative ist bisher ebenso verworfen worden wie der Vorschlag der PDS, die Parade dezentral als Sternmarsch zu organisieren. Die Veranstalter beharren auf der Route durch den Tiergarten, weil sie ihn bei einer möglichen Massenpanik als Fluchtweg einplanen. Deshalb liegt der Fall nun vor Gericht: Die Umweltschutzorganisation BUND und Anwohner klagen vor dem Verwaltungsgericht für Ruhe und den Schutz des Tiergartens. Das Gericht hat angekündigt, Ende Juni zu entscheiden und möglicherweise öffentlich zu verhandeln – wegen des „rechtlich nicht einfachen, möglicherweise einmaligen Falles“. Bernhard Pötter,Berlin

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