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Keine Spuren hinterlassen

Gesichter der Großstadt: 22 Jahre lang war Dieter Honisch Direktor der Neuen Nationalgalerie. Der Mann, der Konflikte stets vermied, ist loyal bis zur Ungreifbarkeit  ■ Von Katrin Bettina Müller

Auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie steht ein Eisenwürfel von Richard Serra. Abgebildet auf der Karte, die zum Abschiedsempfang für Dieter Honisch einlud, wurde sein Gewicht von 22 Tonnen zum Symbol für die 22 Dienstjahre des scheidenden Museumsdirektors. In der gläsernen Kunsthülle am Kulturforum begann er, sechs Häuser mußte er am Ende dirigieren: Dazugekommen waren die Sammlung der Romantik im Schloß Charlottenburg, die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel, die Friedrichswerdersche Kirche, die Sammlung Berggruen und der Hamburger Bahnhof.

Dem rostigen Eisenblock von Serra sieht man aus der Nähe zwar die Spuren von Sprayern an, doch seinen massiven Kern erreichen sie nicht. Dieter Honisch läßt nicht einmal äußere Kratzer sehen. Loyal bis zur Ungreifbarkeit, hat er Unzufriedenheiten nie dramatisiert.

Fragt man nach Konkurrenzen im großen Verbund der Staatlichen Museen, wehrt der Fünfundsechzigjährige mit der Erinnerung an die „warmherzige Abschiedsrede“ des Stiftungspräsidenten Wolf-Dieter Dube ab. Möchte man etwas über die Schwierigkeiten im Umgang mit den Sammlern wissen, die zunehmend die museale Bühne besetzten, redet er von „wunderbaren Auseinandersetzungen“. Hofft man gar auf Klagen über die Eitelkeit des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, sieht er sich trotz aller inhaltlichen Unterschiede noch immer als „Vater des Vereins“, den er kurz nach seinem Amtsantritt aktivierte.

Zum Abschied von der Neuen Nationalgalerie ehrte ihn der ungarische Gesandte für sein Engagement für osteuropäische Kultur. Denn wenn Dieter Honisch nun zwischen Berlin und seinem Haus in Ungarn zu pendeln beginnt, nimmt er einen Faden seiner Biographie wieder auf, der in Berlin lange nicht sichtbar wurde: seine Verbundenheit mit Osteuropa. Als Honisch 1968 Kustos am Museum Folkwang wurde, richtete er Stipendien für Künstler aus Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei ein.

1970/72 war er Kommissar des deutschen Biennale-Beitrags in Venedig und reiste damit auf Einladung aus Polen nach Warschau: „Als wir ankamen, bewegten sich graugekleidete Herren um uns und fotografierten jedes Werk. Prompt lag eine Woche später das Protestschreiben der DDR in Warschau vor.“

Von Berlin aus aber war diese konspirative Verknüpfung mit Osteuropa kaum noch zu leisten. Reiste Honisch zu Kongressen, saß er „am Katzentisch, weil Berlin in seinem Sonderstatus von den Ostblockländern nicht anerkannt wurde“. Umgekehrt wurden Erwerbungen aus Osteuropa in Berlin als politisches Statement überbewertet und in ihrer ästhetischen Essenz übersehen.

In Berlin war wenig von Internationalität zu spüren, als Honisch 1975 an die Nationalgalerie kam. War es noch das Konzept seiner Vorgänger gewesen, den Kahlschlag, den die Nationalsozialisten in der modernen Kunst hinterlassen hatten, aufzuarbeiten, hielt Honisch diese Geschichte für nicht korrigierbar. Er wollte an die Gegenwart ran. Mit der Erwerbung von Beuys' „Richtkräften“ machte er gleich die Nagelprobe: „Mich erstaunte schon, wie provinziell Berlin war. Ich kam aus Essen, da war Beuys längst der Heilige des Rheinlands, und hier gab es eine Kampagne über Wochen und Monate.“

1977 erwarb Honisch zwei Bilder des polnischen Malers Roman Opalka, der über zehn Jahre zuvor damit begonnen hatte, eine nicht abreißende Zahlenkette auf Leinwand zu schreiben. Immer blasser wird ihre Spur. Dieses langsame Verschwinden paßt zur Philosophie des Direktors. Am liebsten wäre ihm, „wenn man gar keine Spur von mir hätte und es nur an den Wänden rekonstruieren könnte. Ich halte nichts von Kunstleuten, die die Werke wie ein Stecktaschentuch der eigenen Erscheinung benutzen.“

„Less is more“: Diese Formel von Ludwig Mies van der Rohe, dem Architekten der Nationalgalerie, läßt sich als zweiter roter Faden für Honischs bevorzugten Weg durch das Jahrhundert benennen. Seine Liebe zur Kunst wurzelt in den reduzierten Formen von Künstlern seiner Generation, dem Zero-Kreis, der Arte povera und des Nouveau Realisme.

Zum Abschied hat ihm der Verein der Freunde der Nationalgalerie die Ausstellung „Ein Blick zurück“ spendiert mit fünfzig Erwerbungen seiner Amtszeit. Dazu gehören Picasso, Lehmbruck und Otto Dix, Frank Stella, Yves Klein, Lucio Fontana, Gerhard Richter. Eine der wichtigsten Erwerbungen ist nach Düsseldorf ausgeliehen, Barnett Newmans „Who's afraid of Red, Yellow and Blue“. Im Katalog erzählt Honisch, wie er die „Freunde“ anläßlich einer Reise zu Picasso in New York in ein Atelier vor dieses Bild lockte. Das war der erste Schritt einer Strategie, bei der er den Widerstand der CDU überwinden mußte, die Stiftung überzeugen konnte und schließlich die Finanzmittel für den Erwerb auftrieb.

Privat sammelt er keine Kunst: „Wie sollte ich, mein Geldbeutel folgt meinen Qualitätsansprüchen nicht. Und mich stört das auch zu Hause. Da hängen nur ein paar Blätter, die mir Künstler für einen Katalogtext gegeben haben, aber oft habe ich gesagt: Kinder, laßt das, das wandert doch nur unters Bett!“ Auch sein Arbeitszimmer im Museum war eine kunstfreie Zone: „Ich kann nicht arbeiten, wenn ich dauernd besetzt bin mit einer künstlerischen Meinung.

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