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■ Kommentare Die Schweiz, der weiße Fleck auf der EU-KarteDraußen vor der Tür

Verunsichert schauen die Schweizerinnen und Schweizer über ihre Grenzen in die Europäische Union; ihr Land ist fast vollständig von der EU umzingelt. Doch während sich diese tiefer und tiefer integriert, driftet die Schweiz in ihren institutionellen Beziehungen immer weiter von ihr ab. Es hat schon fast symbolischen Charakter: Nur zwei Wochen vor dem entscheidenden Gipfeltreffen in Amsterdam waren die bilateralen Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel in eine Krise geraten.

Nachdem die Bevölkerung im Dezember 1992 knapp die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verworfen hatte, beschloß die Schweizer Regierung, in einem bilateralen Vertrag die dringendsten Probleme mit der EU zu regeln. Nach zweieinhalbjährigen Verhandlungen schien endlich eine Lösung gefunden. Die heikle Frage der Personenfreizügigkeit war bereits vom Tisch, die Schweizerinnen und Schweizer hätten sich schon bald frei im großen Binnenmarkt bewegen dürfen, da fuhren die Verhandlungen fest. Man kann sich nicht einig werden über die ökologische Besteuerung der 40-Tonner, mit denen die EU über die Schweizer Alpen fahren möchte.

Während die Union sich nun daranmacht, einen einheitlichen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ für ihre Bürger zu schaffen, stehen die Schweizer draußen vor der Tür. Da haben es sogar die Karibikbewohner der französischen Überseegebiete besser: Sie gelten als EU-Bürger. Natürlich kann man aus Schweizer Sicht weiterhin das berüchtigte „Demokratiedefizit“ der EU beklagen und sich über die eigenen Volksrechte glücklich schätzen. Die Schweizer hätten es gern gesehen, wenn in der Regierungskonferenz der österreichisch- italienische Vorschlag, ein Initiativrecht für die EU-Bürger einzuführen, realisiert worden wäre. Doch was nützen alle Volksrechte, wenn die Schweiz am Ende gleichwohl in weiten Bereichen die EU-Gesetzgebung „im autonomen Nachvollzug“ übernehmen muß, will sie nicht zu große Nachteile in Kauf nehmen. Trotz ausgelöst hat dazu die nicht enden wollende Diskussion um die Geschäfte des Landes mit den Nazis während des Zweiten Weltkriegs. Von den früheren Verbündeten, den USA, an den Pranger gestellt, macht sich neben Selbstmitleid eine Art berglerischer Trutzigkeit breit. So hat das neutrale Land, in dem 1989 noch über ein Drittel der Bevölkerung die Armee abschaffen wollte, gerade mit 77 Prozent der Stimmen eine Volksinitiative abgeschmettert, die die Waffenausfuhr verbieten wollte. Geplagt von einer anhaltenden Rezession und im Gefühl, international zunehmend isoliert zu sein, schaut die Schweiz letztlich jedoch vor allem neidisch auf diese neue Form von „Eidgenossenschaft“ um sie herum. Wenn Amsterdam ein Erfolg wird und sich die EU bald um die Länder Ost- und Mitteleuropas erweitert, wird der weiße Fleck, den die Schweiz auf der EU-Karte bildet, noch ein bißchen blasser werden. Luciano Ferrari

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