Religiöse Grundversorgung statt Seelsorge

■ Häftlinge in Tegel protestieren gegen Einsparungen von Gefängnispfarrern

Hilferuf aus dem Knast: Die Insassenvertretung der Justizvollzugsanstalt Tegel hat einen Protestbrief verfaßt. Die Überschrift: „Warum Seelsorge im Knast?“ Die Begründung: „Intime und persönliche Probleme, Fragen des Glaubens und der Tatbewältigung können mit einem Pfarrer, der eine Vertrauensperson darstellt, offen besprochen werden. Der Pfarrer spielt bei Vollzugsentscheidungen respektive Resozialisierung eine wichtige Rolle.“ Am Ende bitten sie: „Schicken Sie Briefe an die Verantwortlichen in der evangelischen Kirche, damit die derzeitigen Stellen erhalten bleiben.“

Im November vergangenen Jahres hatte die Herbstsynode der evangelischen Kirche beschlossen, die Zahl der Seelsorger-Stellen in den acht Haftanstalten von 9,5 auf 5,5 zu reduzieren. Grund sind die drastischen Einsparungsmaßnahmen von 60 Millionen Mark, die die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg in den kommenden zwei Jahren leisten muß. Die ersten Auswirkungen werden jetzt spürbar. Den Inhaftierten der JVA Tegel wurde mitgeteilt, daß Diakon Watermann gekündigt und daß Pfarrer Dabrowski im November in den Wartestand versetzt wird. Für Klaus Lange-Lehmgut, den Leiter der JVA Tegel, eine fatale Entscheidung. „Ich habe das Gefühl, der evangelischen Kirche sind die reichen Wilmersdorfer Witwen mehr wert als die Gefangenen.“ Die Arbeit der Gefängnisseelsorger könne nicht hoch genug geschätzt werden, so Lange-Lehmgut. „Ein Gefangener, der das Gespräch mit dem Pfarrer sucht, muß nicht überlegen, was er sagt und was nicht.“ Er könne einfach offen reden über Gott und Welt und über die eigene Schuld. Irena Kukutz, Anstaltsbeirätin der Frauenhaftanstalt Plötzensee, betont: „Die Gefängnisseelsorger schlagen für die Gefangenen eine wichtige Brücke nach draußen.“

Auch innerhalb der evangelischen Kirche sind die Einsparungen im Bereich Gefängnisseelsorge heftig umstritten. Michael Poppke, Vorsitzender der Konferenz für Gefängnisseelsorge, fragt sich, ob das, was mit 5,5 Stellen für alle Haftanstalten (4.600 Inhaftierte) abgesichert werden soll, noch als „verantwortliche Seelsorge“ bezeichnet werden kann. Oder ob es nicht vielmehr eine „religiöse Grundversorgung“ sein wird, mit Gottesdienst und Sprechstunde. Die Praxis sehe dann wie folgt aus: Die verbleibenden Pfarrer pendeln zwischen den Haftanstalten und sichern eine Notversorgung ab. Poppke befürchtet zudem, daß bei der nächsten Sparrunde 1998 noch einmal an den Seelsorger-Stellen angesetzt wird. „Passiert das, müßte die Kirche ihren Bankrott erklären.“ Jens Rübsam