: Den massenhaften Mißbrauch gab es nie
Wormser Kinderschänderprozeß endete mit Freispruch. Vorwürfe gegen Kinderschutzdienste ■ Von K.-P. Klingelschmitt
Nach dem dritten Prozeß um den mutmaßlichen Mißbrauch von insgesamt 14 Kindern in Worms hat die Strafkammer am Landgericht Mainz unter Vorsitz von Richter Hans Lorenz gestern die Urteile verkündet: Freisprüche für alle elf angeklagten Männer und Frauen aus insgesamt drei Familien, deren Mitglieder miteinander verwandt oder verschwägert sind.
Den, wie es in der Anklageschrift hieß, „massenhaften Mißbrauch oder den familienübergreifenden Mißbrauch“ habe es nie gegeben, sagte Lorenz zu Beginn seiner siebenstündigen Urteilsbegründung. Deshalb sei dieser Freispruch in erster Linie ein „Freispruch aus tatsächlichen Gründen“. Weil aber auch nach 131 Verhandlungstagen und Anhörung von 123 Zeugen nicht völlig ausgeschlossen werden könne, daß einige der Kinder „vielleicht Opfer eines individuellen Mißbrauchs gewesen sein könnten“, sei der Freispruch in zweiter Linie auch einer aus Mangel an Beweisen. In den beiden vorherigen Verfahren gegen andere Mitglieder der drei Familien waren die Angeklagten lediglich „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen worden.
Von den von der Staatsanwaltschaft zur Anklage gebrachten 89 angeblichen Mißbrauchsfällen in diesem Verfahren habe „nicht einer“ nachgewiesen werden können. Im Verlauf seiner Urteilsbegründung erhob der Richter schwere Vorwürfe gegen die „sogenannten Kinderschutzdienste“, wie etwa von „Wildwasser“. Deren „allzu ideologischen und feministischen Werbekampagnen“ gegen den Kindesmißbrauch würden weitere zweifelhafte Verfahren provozieren. „Da wird Eigenjustiz praktiziert. Und deshalb werden in Zukunft weitere Familien ganz schön aufgemischt werden.“ Kinderschutzdienste seien nur sinnvoll, wenn sie sich auf die Behandlung von mißbrauchten Kindern beschränkten und sich aus der Aufklärung von Straftaten heraushalten.
Exakt 26 Gutachten sind dem Gericht im Verfahren vorgelegt worden. Doch keines habe den Beweis dafür erbringen können, daß die 14 Kinder tatsächlich mißbraucht wurden – und schon gar nicht von wem. Und was die als Zeugen vorgeladenen Kinder aussagten, habe immer auch gegen die Mißbrauchsthese interpretiert werden können. Das Problem sei gewesen, daß das Gericht zu spät erkannt habe, „daß es einigen Gutachtern an Fachkompetenz mangelte“. Der von einem Kinderarzt und einer Mitarbeiterin von „Wildwasser“ angezeigte „massenhafte Kindesmißbrauch“ sei zunächst als Tatsache gewertet worden. Und deshalb habe niemand mehr die Frage gestellt, ob es überhaupt zu Taten gekommen war. „Es ging nur noch um die Frage: Wer waren die Täter?“ 25 mutmaßlich Beteiligte aus den drei Familien seien schließlich inhaftiert und in drei getrennten Verfahren angeklagt worden. 24 wurden nach diesen drei Verfahren freigesprochen. Eine Angeklagte, die Großmutter einiger Kinder, verstarb in der Untersuchungshaft.
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