Spionin der stolpernden Herzen

■ Torgny Lindgren liest aus „Hummelhonig“über (Un-)Sterbliche

Daß ein Mensch nicht sterben will, kann als normal erachtet werden; daß er nicht sterben kann, eher weniger. Und doch soll dies vorkommen, vorzugsweise bei Familienoberhäuptern, die zu wissen glauben, daß nach ihnen alles zusammenbricht, weshalb sie sich ebenso verzweifelt wie erfolgreich ans Leben klammern. Von dieser Dynamik erzählt der Roman Hummelhonig des Schweden Torgny Lindgren.

Seine Protagonisten, die Brüder Hadar und Olof, hausen in zwei halbverfallenen Hütten irgendwo in Nordschweden. Während Hadars Körper vom Krebs malträtiert wird, stolpert Olofs Herz so vor sich hin. Eigentlich wäre ihre Zeit längst um, nur haben sie Besseres zu tun. Hadar, der Magere, lutscht am salzigen Speck; Olof, der Fette, stopft Unmengen von Zucker in sich hinein.

Doch ihre eigentliche Nahrung ist der Haß auf den anderen, den man um jeden Preis überleben will, während sich Gevatter Tod draußen vor der Tür die Beine in den Bauch steht. So könnte es immer weitergehen, käme nicht an einem Spätherbsttag ein Gast vorbei. Eine erfolglose Autorin, die auf Einladung des örtlichen Kulturvereins lustlos einen Vortrag über Heilige und Narren hält, auf daß sie am nächsten Morgen die Straße durch Schnee unpassierbar vorfindet. Schon bald pendelt sie zwischen den verfeindeten Männern.

Lindgrens Hummelhonig ist eine vielschichtige, überaus gelungene Familiengroteske, unterlegt mit einem zweiten Thema: die schreibende Frau als Krankenschwester, als Spionin, als erschaffende Chronistin. Denn während die namenlose Autorin die widerspenstigen Männer pflegt, entlockt sie ihnen ihre Lebensgeschichten in den verschiedenen Versionen, hockt sich danach an den wackeligen Küchentisch und arbeitet an ihrem Buch über den heiligen Christophorus, der einen vor Hagel wie vor dem plötzlichen Tode bewahrt. Je mehr sie sich erzählen läßt, desto schneller füllen sich die Seiten. Die spannendsten Geschichten schreibt eben immer noch das Familienleben. Frank Keil

Torgny Lindgren: „Hummelhonig“, Hanser-Verlag, 1997, 160 Seiten, 34 Mark

Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus