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Elektronische Nabelschnur

Telearbeiter verbringen zwei Drittel ihrer Arbeitszeit am heimischen Computer oder in Hotelzimmern. Oft totale Überwachung durch die Zentrale  ■ Von Peter Sennekamp

In dem Büro am Ku'damm stehen nur sieben Sessel und sieben Computer, obwohl 20 Festangestellte und 70 Freie bei Kluge & Partner/Kluge & Kretschmer beschäftigt sind. „Es gibt keine privaten Schreibtische, jeder kann überall arbeiten“, sagt Mitarbeiter Hannes Kammerlander.

Er und die anderen angestellten Physiker, Mathematiker, Lehrer, Maschinenbauer und EDV-Kaufleute sitzen nur 30 Prozent ihrer Arbeitszeit im gemeinsamen Büro. Zwei Drittel der Arbeitstage verbringen sie zwar auch vor einem PC, jedoch woanders: zu Hause oder in x-beliebigen Hotelzimmern irgendwo auf dem Globus. Sie alle sind Telearbeiter, die ihren Arbeitsplatz dorthin mitnehmen, wo sie ihn brauchen.

Einfach genial findet Hannes Kammerlander diese „Freiheit“. Wenn die Kinder morgens erst später aus dem Haus gehen, sitzt er schon am Heim-PC. Wenn er einen Außentermin hat, kommt er natürlich um 15.00 Uhr nicht mehr ins Büro zurück – wegen des Verkehrs.

Dann „loggt er sich von zu Hause ein“, holt auf seinen Bildschirm schnell die Informationen über das aktuelle Projekt, an denen ein Kollege im Münchener Hotelzimmer bis vor wenigen Stunden gearbeitet hat und schickt später des neuesten Stand in den zentralen Datenpool.

Auch wie weit die anderen Mitarbeiter inzwischen mit ihren Programmieraufgaben gekommen sind oder wie weit sich das Design einer neuen Internet-Seite – etwa für das Berliner Abgeordnetenhaus – entwickelt hat, erfährt Kammerlander mit einem einzigen Blick in die Datenbank des zentralen Computers.

Die Kluge-Firmen – sie beraten Betriebe und Behörden bei der Computerisierung von Arbeitsabläufen – sind zwei von rund 6.000 Berliner Unternehmen (rund 70.000 Arbeitsplätze), die in der Medien- und Telekommunikationsbranche arbeiten.

Wie viele Telearbeitsplätze sie anbieten? Darüber gibt es keine verläßlichen Zahlen, nur Schätzungen. Rechnet man bundesweite Daten (bis zu 150.000 Telejobs) auf hiesige Verhältnisse um, arbeiten an der Spree weit unter 10.000 Lohnabhängige überwiegend am externen Bildschirm. Über eines jedenfalls ist sich die Fachwelt einig: Es werden angeblich immer mehr.

Nach drei Wochen auftragsbedingtem Hotelhopping nennt Kluge-Mathematiker Jörg Werner die Datenleitung ins Büro schon seine „Nabelschnur“. „Wenn nach so langer Zeit auch das schönste Hotelzimmer grau wird, habe ich doch immer noch das Gefühl, ich bin mit Berlin verbunden.“ Alle wichtigen Fragen tauscht er während seiner Reisen mit den anderen Mitarbeitern aus, die ebenfalls an ihren Heim-PCs oder im Büro sitzen und dort nach Programmierlösungen suchen. So will etwa der Siemens- Konzern sein weltweites Computernetz in ein Intranet umwandeln, damit nicht, wie beim Internet alle, sondern nur Nutzer mit Paßwort in die Siemens-Datenbanken einsteigen können. Dann reist Werner um die Welt und berät die Siemensabteilungen allerorten.

Dabei legt er Wert darauf, daß er jederzeit weiß, wo sich seine Mitarbeiter aufhalten, erteilt ihnen Aufgaben per Computer, will schnellstmöglich Antworten bekommen. Wenn er Termine macht, schaut er in die Kluge-Datenbank. Für alle Mitarbeiter ist dort minutiös vermerkt, wo sie sich gerade befinden. Der nächstmögliche Termin für ein Meeting wird vom Computer ermittelt und augenblicklich an die PCs der gewünschten Gesprächspartner weitergeleitet.

Totale Arbeitsüberwachung? Hannes Kammerlander ist von der Effizienz begeistert: „Versuchen Sie doch mal mit zwölf Leuten augenblicklich einen Termin zu machen. Da telefonieren Sie ohne Ende.“ Ein Blick auf den PC genügt, um zu wissen, wie weit die Kollegen mit Projekt A, B oder C sind, oder ob D verschoben wurde. Lohnt sich eine Konferenz? Anschaulich malt Kammerlander mit einem Beistift ein „A“, „B“, „C“ und „D“ auf einen Zettel, verbindet sie mit Bleistiftstrichen, und erklärt im gleichen Atemzug, daß bei Kluge Nachrichten niemals auf Zetteln weitergereicht würden. Wenn ein Mitarbeiter ihm per Papiernotiz einen Termin zukommen läßt, „ist der schlicht ungültig“. Einfach alles wird in den Datenbanken abgelegt, sogar die Mitarbeiterempfehlungen für Restaurants, damit für den nächsten Projektpartner das entsprechende Ambiente aufgesucht werden kann. Auch Witze kommen von den Heim-PCs, werden in die Datenbanken geschossen und erreichen beim nächsten „Login“ die Kollegen.

Kommen Millionenaufträge per E-mail-Einzeiler nicht etwas trocken daher? Ja, sagt Hannes Kammerlander, telekommunikative Begeisterungsstürme, vergleichbar mit realen Kontakten, brächen nur selten aus. Deshalb freuen sich auch alle Mitarbeiter, daß sie von Zeit zu Zeit einige Tage im Büro am Ku'damm arbeiten können.

Die Telearbeit habe eben Vor- und Nachteile: Auf jeden Fall spare sein Betrieb enorm Zeit. Eines ist sicher: Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt es in der virtuellen Arbeitswelt kaum noch.

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