: Arbeit – Macht – Staat
Was wollen Frauen vom Staat? Und was bietet der „männliche“ Staat den Frauen? Eine Sammelrezension neuer politikwissenschaftlicher Bücher ■ Von Gabriele Kämper
Der Sozialstaat erodiert. Die offizielle Arbeitslosenzahl strebt unaufhaltsam auf die Fünf-Millionen-Marke zu. Die Politik erweckt den Eindruck der Hilflosigkeit. Die Armut ist weiblich, und die Frauen sind die Verliererinnen der Einheit. Zusammen mit dem immer wieder neu verkündeten Ende des Feminismus trägt dieser Effekt zum Verschwinden der Frauen aus der Wahrnehmung bei.
Und der Staat? Auch er scheint in den Auflösungen des Nationalen dahinzugehen und wirkt dennoch seltsam ambivalent. Er singt das Hohelied des Neoliberalismus und will doch für die soziale Marktwirtschaft geradestehen. Er amputiert sich selbst in Privatisierung und Deregulierung und läßt andererseits nicht von korporativistischer und subventionsgestützter Steuerung ab. In all dieser Erbärmlichkeit Ansatzpunkte zu Erkenntnis und Handeln zu finden ist nicht leicht. Dennoch – ein Lob der Frauenforschung! – sind in den letzten Monaten ein paar Sammelbände zu diesem vertrackten Verhältnis von staatlicher Politik, gesellschaftlicher Arbeitsteilung und der damit produzierten sozialen Lage von Frauen erschienen.
Was wollen Frauen vom Staat? Und was bietet der Staat den Frauen? Diese Fragen stellen die Herausgeberinnen Teresa Kulawik und Birgit Sauer in ihrem Band Der halbierte Staat. Der Titel ist zugleich These: Der Staat betreibe nicht nur Geschlechterpolitik, sondern er sei auch selbst in seinen Institutionen und in seinem Herrschaftsanspruch zutiefst geschlechtsspezifisch geprägt. Das versuchen die beiden Autorinnen in der Auseinandersetzung vor allem mit Max Weber nachzuweisen.
In weiteren Einzelstudien wird gezeigt, daß staatliche Politik geschlechterselektiv verfährt. Ob staatliche Arbeitsmarkt-, Familien- oder Sozialpolitik: Erwerbsarbeit geht vor Hausarbeit, staatliche Interventionen privilegieren den männlichen Lebensentwurf. Angesichts dieser Politik erscheinen die ach so beliebten Aufklärungskampagnen für mehr Partnerschaftlichkeit wie bloßer Hohn: Liegt darin doch die Aufforderung an die Individuen in den Familien, sich gegenläufig zur staatlichen Lebensregulierung zu verhalten und finanzielle Auswirkungen zu ignorieren. Außer dem Lob auf Plakatwänden winkt keinerlei Unterstützung. Das jüngste Beispiel ist der aufmunternde Appell unserer Bundesfrauenministerin, Hausarbeit sei wie Fußballspielen, es bedürfe dazu eines guten Teams.
Die vielzitierte Deregulierung greift in diesem Bereich zwischen privat und öffentlich allerdings überhaupt nicht. Die Regulierung in der Sozialpolitik schaffe ein Beziehungsgeflecht zwischen staatlicher und halbstaatlicher Politik im Bereich von Arbeitsmarkt und Familie, das die Arbeitsmarktintegration von Frauen erheblich beeinflußt, so Friederike Maier in „Arbeitsmarkt und Geschlechterverhältnis“. Das Leistungsgefüge der Sozialsysteme ist geschlechtsspezifisch aufgebaut, Frauen werden auf die Unterstützung durch die „Normalfamilie“ verwiesen, die jedoch in der Form des lebenslangen Ernäherers sich verabschiedet hat. (Eva Mädje, Claudia Neusüß: „Frauen in der Sozialpolitik- und Armutsforschung“).
„Sozialpolitik als Geschlechterpolitik“
Der Frage nach der Verteilung von Arbeitsmarktchancen vermittels staatlicher Sozialpolitik geht Susanne Rouette in ihrer historischen Studie Sozialpolitik als Geschlechterpolitik nach. Sie führt die männerfreundliche Politik exemplarisch auf ihre Ursprünge in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Damals stellte sich erstmals das Problem, daß eine bemerkenswerte Zahl von Frauen Arbeitsplätze innehatte, auf die Männer nach ihrer Demobilisierung Anspruch erhoben. Gewerkschaften, Parteien und Staat versuchten mittels Gesetzen und Maßnahmen die Frauen schnellstmöglich von diesen Arbeitsplätzen zu vertreiben. Der von vielen seiner Mitglieder bedrängte Bund Deutscher Frauenvereine sah sich gezwungen, sich über die „Terrorisierung der weiblichen Sozialbeamten“ durch ihre Arbeitgeber zu empören.
Auch die Maßnahmen staatlicher Sozialpolitik waren diesem Ziel verpflichtet, wobei eine Rhetorik von Volkswohl und Volksgesundheit benutzt wurde, die die Interessen der Männer an den Arbeitsplätzen der Frauen verdeckte und verklärte. Die Erwerbslosenfürsorge ermöglichte es, daß Frauen aus ihrer beruflichen Tätigkeit wesentlich geringere Unterstützung zukam als Männern – auch darin wurden Frauen auf ihre (fiktive) Rolle als Familienmutter verwiesen. Mit dieser spannenden und detailreichen Studie, die sich vornehmlich auf den Großraum Berlin bezieht, ist eine wichtige Grundlage für die Analyse von Sozialstaatspolitik als Geschlechterpolitik geschaffen.
Um die Implikation „männlicher“ Staatsgewalt geht es in dem Band Zwischen Machtkritik und Machtgewinn, herausgegeben von Virginia Penrose und Clarissa Rudolph. Spannend fällt die Diskussion des unterschiedlichen Staatsverständnisses in Ost und West aus. Daß die Frauen in der DDR mehr soziale Rechte hatten, für die sie aber weitaus weniger als im Westen hatten kämpfen müssen, führte nach der Wende zur Verbitterung über den Staat, der sie nunmehr verraten habe, aber auch zu einer bleibenden Erwartungshaltung an denselben. Hingegen ließ die Staatsferne westlicher Feministinnen, obwohl längst durchbrochen, diese mit Mißtrauen auf das Staatsvertrauen der neuen Schwestern blicken. Verständigung kann so nur schwer stattfinden (Penrose: „Der feine Unterschied. Staatsverständnis und politische Handlungsstrategien von Frauen in Deutschland“). Die Frauen- Staatssekretärin aus Magdeburg faßt es noch deutlicher: Während die Ostfrau lieber eine Eingabe macht, gründet die Westfrau eine BürgerInnen-Initiative (Elke Plöger: „(K)ein Verhältnis zur Macht? Möglichkeiten und Hemmnisse der Machtausübung – eine Ostsicht“). Die Autorin setzt sich eingehend mit dem weiblichen Selbstbewußtsein in der DDR und den Nachwendezeiten auseinander und beleuchtet das schwierige Terrain von Verantwortung, Partizipation und Resignation. Ihr Plädoyer: Verweigerung ist keine Strategie. Frauen sollten sich ihrer Erfahrungen als berufstätige Mütter (Ost) und Strateginnen gegen das Patriarchat (West) bewußt werden, sich darin bestärken und sich in dieser Vielfalt in das öffentliche Leben einbringen.
Der Blick auf die Umgestaltung der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft verdeutlicht exemplarisch die enormen Machtverluste, die der radikale Arbeitsplatzabbau für Frauen darstellt (Marianne Kriszio: „Frauen und Machtstrukturen an ostdeutschen Hochschulen nach der Wende“).
„Wissenschaft als Arbeit“
Der Wissenschaft nimmt sich auch der von Sabine Lang und Birgit Sauer herausgegebene Tagungsband Wissenschaft als Arbeit – Arbeit als Wissenschaftlerin an. Aus unterschiedlichen Perspektiven werden hier Blicke auf einen bewegten Sektor geworfen. Durchgehend konstatieren alle Beiträge unübersehbare Mißverhältnisse: zwischen der Verteilung der Machtpositionen und dem unaufhaltsamen Anstieg der Qualifizierung von Frauen, zwischen der Innovationskraft von Frauenforschung und deren konsequenter Nichtwahrnehmung seitens des malestream. Noch immer ist die angeblich mangelnde Qualifikation das Argument zum Ausschluß von Frauen. Die Frauen monieren die männliche Netzwerkpolitik, die Stellenvergabe innerhalb dieser Netzwerke und den Ausschluß von Frauen. Sie kritisieren, wie Männer die ursprünglich feministische Kritik an der Ausblendung familiärer Verpflichtungen aufgriffen und als individualisierte Verantwortung für Qualifikation und Biographie an die Frauen zurückwiesen: Der Ausschluß von Frauen als Effekt männlicher Interessenvertretung verschwindet darin. Folge: eine wachsende Zahl hochqualifizierter Wissenschaftlerinnen, die dennoch nicht mehr Professuren und Machtpositionen innehaben als früher.
Die breit angelegte Diskussion, gestützt auf eine Vielzahl empirischer Untersuchungen, findet kompakten Ausdruck in der Resolution „Wissenschaftlerinnen 2000. Berliner Perspektiven für die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft“. Darin finden sich Analyse, Standortbestimmung und mögliche Maßnahmen prägnant zusammengefaßt.
„Staat und Privatheit“
Der gerade erschienene Band Staat und Privatheit, herausgegeben von Brigitte Kerchner und Gabriele Wilde, zielt auf die Kernfrage der bürgerlichen Gesellschaft aus feministischer Perspektive: die immer wieder erneut hergestellte Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit als Ausblendung von Geschlechtlichkeit in Staat und Gesellschaft. Teilweise in Fortschreibung des oben angeführten Bandes Der halbierte Staat stellen sich die Autorinnen mit großem Engagement der Frage, wie der Staat heute von Frauen zu lesen, zu verstehen, zu nutzen und zu kritisieren ist.
Der Funktion des Staates in bezug auf die Erwerbsarbeit von Frauen wendet sich Traute Meyer („Im Schatten der Krise“) mit der überraschenden These von der überaus positiv zu bewertenden Rolle des Staates als „Modernisierer der Frauen“ zu. Der gängige Blick auf die Krise der Arbeitsgesellschaft unterschlage, daß Frauen in den letzten zwei Jahrzehnten ganz erheblich von der Transformation der Arbeitsmärkte hin zu mehr Dienstleistung profitiert hätten und dies auch weiterhin tun würden. Wenn der Optimismus der Autorin auch wohltuend ist: Abgesehen von der Ausblendung des Abbaus weiblicher Arbeitsplätze in der ostdeutschen Industrie gehört auch ein gehörig Maß Bescheidenheit dazu, die schlechtbezahlten Jobs auf den unteren Hierarchieebenen schon als Gewinn für Frauen zu betrachten.
Daß Frauen auch in den Gewerkschaften keinen Rückhalt, sondern im Gegenteil äußerst zähe Verteidiger konservativer Geschlechterhierarchien finden, darauf weist Sigrid Koch-Baumgarten in einer nüchternen Analyse hin. Sie stellt fest, daß auch die Gewerkschaften die Geschlechtsblindheit staatlicher Politiken stabilisieren („,Die selbstverständliche Dominanz der Männer‘ in der (Gewerkschafts)-Öffentlichkeit“).
Und dennoch: Politic matters! Politik lohnt sich! Zu diesem Schluß kommen die meisten der vorgestellten Beiträge auf verschiedenen Wegen. Der Staat ist mehr als ein ewiger Verfechter des Patriarchats, und er hat durchaus noch Gestaltungsmächtigkeit.
Susanne Rouette: „Sozialpolitik als Geschlechterpolitik“. Campus 1993
Virginia Penrose, Clarissa Rudolph (Hg.): „Zwischen Machtkritik und Machtgewinn“. Campus 1996
Sabine Lang, Birgit Sauer (Hg.): „Wissenschaft als Arbeit – Arbeit als Wissenschaftlerin“. Campus 1997
Brigitte Kerchner, Gabriele Wilde (Hg.): „Staat und Privatheit. Aktuelle Studien zu einem schwierigen Verhältnis“. Leske+ Budrich 1997
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