Nachgefragt: „Unmenschlich“
■ Bund kritischer PolizistInnen lehnt Deformationsgeschosse vehement ab
Die Bremer Innendeputation segnet den Einsatz von sogenannten „Deformationsgeschossen“ab (vgl. Seite 21). Über die Wirkung sowie über Vor- und Nachteile der neuen Munition sprach die taz mit dem langjährigen Polizeibeamten Manfred Mahr, der zugleich Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer PolizistInnen ist.
taz: Herr Mahr, was genau sind Deformationsgeschosse?
Manfred Mahr: Das sind Geschosse, die in dem Moment, wo sie auf den Körper auftreffen, sozusagen aufpilzen und dadurch größere Wunden reißen. Das führt zu einer gewissen Schocksituation, wodurch der Täter oder Angreifer nicht mehr zu Reflexen in der Lage ist, was bei Geiselnahmen eine Rolle spielt. Ich verstehe darum das Ansinnen, dadurch eine größere Mann-Stopp-Wirkung zu erzielen. Aber die Verhältnismäßigkeit ist nicht mehr gewährleistet.
Verhältnismäßigkeit?
Es muß eine Polizeiwaffe entwickelt werden, die Angreifer stoppt. Ich darf darum aber nicht den Umkehrschluß ziehen, bei dem Getroffenen größte körperliche Schäden zu billigen. Gehen wir doch mal von einem konkreten Fall aus. Wenn ich einen Täter mit einem Hartmantelgeschoß in den Bauch treffe, hat er Überlebenschancen. Mit einem Weichmantelgeschoß sinkt die Chance, da noch was zu retten, dramatisch. Die Bremer Beamten, die in Schußsituationen kommen, sollten sich jetzt schon mal auf einen gewissen Anteil mindestens Schwerverletzter einstellen.
Die Bremer Befürworter sagen, daß die Weichmunition zwar größere Wunden verursache, sich aber im Körper nicht zerlege und damit keine weiteren Schädigungen verursache.
Das ist eine völlige Nullaussage und Schönrederei. Entscheidend ist, dieses Metall reißt größere Wunden, und das ist unmenschlich. Ich bin absolut gegen diese Munition.
Vollmantelgeschosse sollen aber für beteiligte PolizistInnen und Umstehende gefährlicher sein, wegen Querschlägern, die bei den weichen Geschossen kaum auftreten.
Dann sollte man in einer Situation, in der andere gefährdet sind, einfach nicht schießen. Ich war vor kurzem zufällig am Hamburger Hauptbahnhof Zeuge eines Schußwaffengebrauchs. Das war nur ein Warnschuß. Ich frage mich aber, wie kann man in einer belebten Einkaufspassage auch nur einen Warnschuß abgeben. Das ist nicht zu verantworten. Man muß dahin kommen, möglichst gar nicht mehr zu schießen.
Und wenn dies mal nicht zu umgehen ist?
Dann helfen die Weichmantelgeschosse auch nicht weiter. Selbst wenn Umstehende oder Kollegen durch Querschläger gefährdet sind. Ich bin selbst Polizist und kenne die Situationen. In einem realen Feuergefecht wird viel geschossen, aber nur die wenigsten Kugeln treffen. Das ist der Alltag. Die Gefahr geht also gar nicht von Querschlägern aus, sondern von Kugeln, die ihr Ziel verfehlt haben. Und dann ist es für Umstehende und Kollegen noch viel gefährlicher, sich ein verirrtes Weichmantelgeschoß einzufangen. Am wenigsten gefährdet sind Menschen, wenn erst gar nicht geschossen wird.
Interview: Jens Tittmann
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