: Die Verzahnung zweier Ansätze
In Berlin schießen Hanfgeschäfte aus dem Boden. Nutzhanfprodukte und Headshop-Artikel stehen meist friedlich nebeneinander im Regal. Die Betreiber bemühen sich um ein eigenes Profil ■ Von Ole Schulz
Die Szene wächst und gedeiht an allen Ecken und Enden Berlins – die Zahl der Hanfgeschäfte läßt sich schon lange nicht mehr an zwei Händen abzählen: Im Februar wurde etwa der Hanfladen Happy Nation in der Koloniestraße 13 im Norden Weddings eröffnet, und vor zwei Wochen hat mit einem großen Fest und 100 Liter Hanf- Freibier ein weiteres Geschäft seine Pforten geöffnet – Flashback in der Wolliner Straße 51, inmitten eines eher gediegenen Ostberliner Kiezes nahe des Arconaplatzes, ist eine Art Gemischtwarenladen in Sachen Hanf. Von Büchern zum Thema über Rauchutensilien und Lichtanlagen für den Selbstanbau bis zu Hanftextilien und -kosmetika wird hier alles angeboten, was Herz und Lunge der Krautliebhaber begehren.
Bereits seit einem Jahr betreibt Flashback einen Hanf-Versandhandel über das Internet (http:// www.flashback.de) mit Bildern von all den schönen Dingen, die im Angebot sind. Bald wuchs dem Drei-Mann-Team von Flashback die Lagerhaltung in der eigenen Wohnung über den Kopf, und so entschlossen sie sich, ein eigenen Laden aufzumachen. „Total wichtig ist mir, daß Hanf aus der Drogenecke rauskommt“, beschreibt Miteigentümer Sven Tichter seine Geschäftsmoral – um neugierige Anwohner nicht abzuschrecken, würden daher auch keine Haschpfeifen in die Fensterauslage gestellt. Besonders stolz ist Tichter, daß ihre Hanftextilien recht preiswert sind (Jeans 129 Mark) und daher mit herkömmlichen Stoffen konkurrieren können.
Grundsätzlich lassen sich mindestens zwei Typen von Hanfgeschäften ausmachen, in der Praxis sind sie inzwischen allerdings meist miteinander verzahnt: Zum einen die Headshops, die auf alles spezialisiert sind, was man braucht, um Cannabis zu rauchen, und zum anderen die Läden, die allein auf die Nutzpflanze Hanf setzen. Und weil umstritten ist, welche Strategie die richtige ist, um die traditionsreiche Pflanze wieder gesellschaftsfähig zu machen, ist das Verhältnis zwischen beiden nicht immer ungebrochen. „Viele der reinen Hanfläden sind entgeistert, wenn man sie mit den Headshops in einen Topf wirft“, sagt etwa Rudolf Petrasch, der am Güterbahnhof Wilmersdorf den Großhandel Bam Bam Bhole für Paraphenalia aller Art betreibt. „Ich freue mich aber über jeden Hanfladen, der neu aufmacht“, so Petrasch. 1976 begann er damit, Pfeifen als Straßenhändler auf Festivals zu verkaufen – heute gehört sein Versand mit acht Festangestellten zu den größten in Deutschland und bietet seinen Kunden von Flensburg bis Freiburg Glas- und Acrylwasserpfeifen an, die überwiegend in Indien gefertigt werden. Aus seiner langjährigen Erfahrung weiß Petrasch, wie sich die Szene gewandelt hat: „Früher wurden Rauchgeräte einzig und allein von Flohmarkthändlern und Kunstgewerbeläden verkauft, dann kamen die Headshops dazu, und jetzt springen immer mehr Tabakläden und Tabakgrossisten auf den Zug auf – früher haben die nur die Nase gerümpft.“
Für Sven Kühnel von Gras Grün in der Cuvrystraße 34 gibt es seit einigen Jahren noch einen weiteren Geschäftszweig in der Branche: „Wir sind von Anfang an als reiner Growshop initiiert“, sagt Kühnel, der mit zwei Freunden im August 1994 den – nach eigener Aussage – ersten Berliner Cannabis-Laden aufgemacht hat, der all die Zutaten feilbietet, um Hanf selbst anzubauen – ganz gleich ob in den eigenen vier Wänden oder in der freien Wildbahn. Und so bekommt man bei Gras Grün in einer geräumigen Kreuzberger Gewerbeetage im zweiten Hinterhof neben einigen Hanf-Accessoires und Literatur in erster Linie Marihuana-Samen, Erde und Beleuchtungssysteme. Dabei vertraut Gras Grün ganz auf biologisch-ökologische Komponenten: „Wir mischen die Erde selber und haben zum Beispiel auch Wurmerde im Programm“, so Kühnel. Damit grenzt er sich bewußt von den neumodischen „Steinwoll-Hydro-Anbaumethoden“ ab, die immer mehr Einzug halten, weil sie schnell hohe Erträge abwerfen. „Steinwolle muß sondermüllentsorgt werden“, kritisiert Kühnel das leichtfertige Geschäftsgebaren einiger seiner Kollegen. Kühnel ist es wichtiger, Qualität anzubieten, als der Billigste zu sein – zumal sich die Preise in den Hanfgeschäften in der Regel kaum voneinander unterscheiden. „Wenn bei uns einer ankommt, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, kriegt er erst einmal eine halbstündige Beratung und nicht gleich eine teure Natriumhochdrucklampe angedreht“, sagt Kühnel. Sein Traum ist ein „Kreuzberger Gartencenter, in dem auch Otto Normalbürger seine Blumenerde kaufen können soll“ – wenn er sich im Laden umsehe, komme er vielleicht auf den Geschmack und endlich weg vom Alkohol, frohlockt Kühnel.
Eine Initialzündung für viele, die heute ein Hanfgeschäft betreiben, war die Veröffentlichung des Buches „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“, das der Pionier Mathias Bröckers im Oktober 1993 auf deutsch herausgebracht hat. Das Buch war auf Hanfpapier gedruckt, und viele Leser wollten von Bröckers wissen, woher sie solches Papier beziehen könnten – damit war die Idee des HanfHauses geboren. Heute ist die HanfHaus-Kette, die als eine Mischform aus Genossenschaft und gebührenfreiem Franchizing organisiert ist, der Marktführer mit zwei Läden in Berlin (Eisenacher Straße 71 und Oranienstraße 192), 13 Filialen im gesamten Bundesgebiet und zwei Geschäften in Österreich (Salzburg) und in der Schweiz (Zürich). Bei einem solchen Erfolg bleiben die Neider natürlich nicht aus: „Die Konkurrenz redet häufig schlechter über uns, als wir sind“, scherzt Bröckers. Dabei werde die HanfHaus-GmbH zum erstenmal in diesem Jahr schwarze Zahlen schreiben und auch nur dann, „wenn alles gutgeht“, so Bröckers. Nicht zu vergessen sei außerdem, daß das HanfHaus in den letzten drei Jahren in Zusammenarbeit mit Herstellern immerhin schon über hundert verschiedene Hanfprodukte entwickelt hat – und das hat Geld gekostet: „Wir suchen auch weiterhin Investoren und Gesellschafter, die sich daran beteiligen, eine richtige Idee durchzusetzen.“
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