: Zweite Liga für die Wohlfahrt
■ Zwiespältige Bilanz nach einem Jahr Liga-Vertrag für die Förderung sozialer Projekte: Verlagerung des Rotstifts auf die Liga, aber auch Bestandssicherung
Der Liga-Vertrag ist ein ungeliebtes, aber notwendiges Kind, das viele Versprechungen noch nicht eingelöst hat. Diese zwiespältige Bilanz zogen Befürworter und Kritiker des Vertrages, mit dem vor einem Jahr ein Teil der Hoheit über Finanzmittel im sozialen Bereich von der Senatsverwaltung auf die Liga der Wohlfahrtsverbände übertragen worden war. Selbst einer der schärfsten Kritiker des Vertrages, der sozialpolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Michael Haberkorn, findet jetzt auch Positives an dem Vertrag: Immerhin handele es sich um eine „relative Bestandssicherung“, die „1997 in diesem Umfang nicht mehr hätte abgeschlossen werden können“.
Anfänglich herrschte Skepsis: Denn mit dem Anfang Juli vergangenen Jahres von der Sozialverwaltung und den Spitzenverbänden der Wohlfahrtspflege geschlossene Liga-Vertrag wurden erstmalig im großen Rahmen Kompetenzen und Finanzmittel aus der Verwaltung ausgelagert. „Planungssicherheit, Leistungsstandards und ein vereinfachtes Zuwendungsrecht für Träger“ sollte der „Liga-Vertrag“ damals bringen. Bis 1999 haben sich die Vertreter der Liga – Arbeiterwohlfahrt (AWO), Caritas, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPW), das Deutsche Rote Kreuz und die Jüdische Gemeinde – verpflichtet, an 300 Sozial- und Gesundheitsprojekte jährlich derzeit 47 Millionen Mark eigenständig zu verteilen. Das ist die Hälfte des bisher von der Sozialsenatorin verwalteten Zuwendungstopfes. Durch den Vertrag muß die Liga auch eigenständig kürzen: pro Jahr bis zu fünf Prozent der Summe.
Klaus Mielke von der Sozialverwaltung registriert eine „neue Qualität zwischen der Wohlfahrt und der Verwaltung“. Er könne nicht verhehlen, daß der Vertragsabschluß zuerst „unter Vorbehalt“ gesehen wurde. Denn: „Die Verwaltung hat ein Stück Macht abgegeben.“ Jedoch sei eine gewisse Planungssicherheit erreicht: „Der Liga-Vertrag hat Projekte davor bewahrt, daß sie unkontrolliert gestrichen werden.“ Obwohl der Vertrag bei „außerordentlichen Gründen“ sogar gekündig werden kann, geht Mielke davon aus, daß der Vertrag im nächsten Jahr und auch 1999 für die Finanzverwaltung „tabu“ ist.
Etwas verhaltener sieht das Oswald Menninger vom DPW: „Es gibt eine Sicherheit für die Summe, aber nicht für jedes einzelne Projekt.“ Und Hans-Wilhelm Pollmann von der AWO bestätigt: „Es ist nicht ohne Hauen und Stechen abgegangen. Wir waren mit der Verteilung der Summen teilweise sehr zögerlich gegenüber den Projekten.“ Von 18 Projekten, die sozialkulturelle Arbeit für ältere Menschen gemacht haben, sind nur noch 13 übrig. Eine Million Mark wurde dadurch eingespart. Auch das Kreuzberger Heile-Haus mußte eine Stelle abgeben.
Doch Haberkorn hat weiterhin massive Kritik: Er bemängelt, daß die Verbände immer noch keine sogenannten Leistungsverträge für die Projekte entwickelt hätten. In diesen Verträgen sollen die qualitativen Standards der Sozialarbeit festgeschrieben werden, nach denen ein Projekt als fachlich gut oder schlecht beurteilt wird. Die Arbeit der Projekte wird demnach anhand eigener und objektiver Kriterien bewertet und bezahlt. „Bei Leistungsverträgen wäre ein Liga-Vertag überflüssig“, glaubt Haberkorn. Die Leistungen würden unter freien Trägern ausgeschrieben. Und daran, so Haberkorn, hätten die Spitzenverbände kein Interesse. Der Liga-Vertrag trage so dazu bei, daß innovative neue Träger keine Zukunft hätten.
Auch über die Vergabekriterien der Gelder gibt es keine Einigkeit. Diese sind nämlich laut Haberkorn „noch undurchsichtiger als die der Verwaltung.“ So herrsche zwar laut Menninger vom DPW, „weniger Verwaltungsaufwand“, doch Kriterienkataloge für etwaige Kürzungen für die einzelnen Projektbereiche gibt es bisher nicht. Hier scheinen sich Liga und Verwaltung gegenseitig zu blockieren. Denn: „Die Planungskompetenz hat weiterhin die Verwaltung“, sagt Oswald Menninger. Julia Naumann
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