Der Fall Kommissarin

Ein Plädoyer für die Abschaffung emanzipatorischer Haltungsnoten nebst einer Typologie  ■ Von Claudia Thomsen

Horst Tappert und Erik Ode gaben den soliden farblosen Grund ab, auf dem TV-Morde begangen und gelöst werden. Mehr nicht. Wenn es an diesen kriminalistischen Sachbearbeitern etwas zu verkulten gab, dann ihren Minimalismus. „Der Alte“ freilich war nicht einmal dafür extrem genug. Im Rahmen der notwendigen Aufstockung des telegenen Polizeiapparates sind die Ermittler ohne Eigenschaften ohnehin ins Hintertreffen geraten. Heute werden im Fernsehen neben den Tötungen Fahnder mit Wallungswert präsentiert. Und weil alle Sender einen differenzierten kommissarischen Typenpool benötigen, haben auch zunehmend Frauen für Gerechtigkeit auf deutschen Bildschirmen zu sorgen.

Die erste Fahnderin im öffentlich-rechtlichen Dienst war Marianne Buchmüller (1967–1980, drei Folgen „Tatort“). Buchmüller-Interpretin Nicole Heesters attestierte ihrer Oberkommissarin „Mutterwitz, Intuition während der stillen Stunden beim Friseur, Verständnis für menschliche Schwächen, plötzliche Erkenntnis beim Bügeln, Anmut“. Ja, Mutti löst Kriminalfälle quasi vom Herd aus – ohne den Topflappen aus der Hand zu legen. Eine Frau mit Schießeisen hielt die Heesters auch Ende der siebziger Jahre noch für nicht fernsehkompatibel. Kein Wunder, daß sich selbst in der zuständigen SWF-Redaktion niemand mehr an die erste „Tatort“- Politesse erinnern kann.

Und heute? Die Unerschrockenheit, mit der Kommissarin Lena Odenthal alias Ulrike Folkerts Knarre und auch Fäuste einzusetzen pflegt, kann z. B. nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie, verglichen mit ihrer direkten Vorgängerin Hanne Wiegand (1981–1988), ein intellektueller Rückschritt ist. Die oft ebenso blaß und angeknittert wie ihr Übergangsmantel am Tatort erscheinende Wiegand (Karin Anselm) agierte kalkuliert und deshalb – im Gegensatz zum Odenthalschen Draufgängertum – cool. Die Verhöre der Frau mit der kurzen, blonden Fönfrisur waren von langen zweideutigen Lücken und sublimer Ironie durchsetzt; geprügelt hat sich Hanne Wiegand nie, sie hatte schließlich immer ihre Dienstwaffe dabei.

Auch die Unabhängigkeit dieser Kommissarin vom modischen must der anbrechenden Postmoderne wirkt bei nochmaliger Sichtung überraschend innovativ. Wenn die Wiegand sich nach Dienstschluß bei Käsefondue oder Schmalzbrot entspannt, dann begreifen wir erst heute, daß dies genau die Sachen sind, die wir in den chromkalten Achtzigern vermißt haben. Ihre junge Nachfolgerin dagegen ist so zeitgemäß gestylt wie die neue Espresso-Maschine von Bosch.

Der emanzipative Flair, der heute Fahnderinnen wie Sabrina Nikolaidou oder eben Lena Odenthal umweht, verdankt sich also weniger einem Bruch mit modischen oder weiblichen Konventionen als vielmehr der Metamorphose ihrer männlichen Kollegen. So wirken wohl die sorglosen Alleingänge der Odenthal vor allem deshalb nicht dummchenhaft, sondern vergleichsweise rational, weil wir uns an den plumpen, naiven Aktionismus eines Horst Schimanskis schon lange gewöhnt haben.

Wer ist überhaupt auf die Idee gekommen, daß die emanzipatorische Haltungsnote – mit einer gelungenen Prügelei als doppeltem Rittberger – etwas mit dem Unterhaltungswert einer Fernsehfahnderin zu tun haben könnte? Gibt es etwas Langweiligeres, als darüber zu sinnieren, ob Lieblinge wie Fitz oder Sperling der Kategorie „neue Männer“ zuzuordnen sind? Viel interessanter scheint die Frage, warum so auffällig viele Kommissarinnen mit einer linken Vergangenheit ausgestattet wurden. Rosa Roth trug, so Drehbuchautor Knut Boeser, das Palästinensertuch, war links und hat studiert. Hannelore Elsner alias Lea Sommer plauderte im letzten Tatort von ihren Erfahrungen aus dem Dunstkreis der linksradikalen Szene, und Bella Blocks politische Färbung entsprach ja schon immer der ihrer Haare. Im Rückblick auf ihre idealistische Vergangenheit werden die „good girls“ durch den Kochwaschgang gezogen, nach dem kein Zweifel an der Reinheit ihrer Motivation bleibt: Ihnen geht es nicht ums Abenteuer, sondern noch immer um die Rettung von Welt und Wiesen. Sozialarbeiterinnen mit Polizeimarke eben.

Merke: Ob dem Einsatz der Telepolitessen prickelnde Aspekte abzugewinnen sind, ist vom Fersehgourmet, wie bei den Stoevers, Palus und Sperlings auch, von Fall zu Fall zu entscheiden:

Die Leck-mich-Attitüde

Lena Odenthal (Ulrike Folkerts)

Die junge, sportive Hauptkommissarin hat eine tiefe Stimme. Mit der sagt sie Sachen wie: „Nun mach' dir mal bloß nicht in die Hose, Kleiner.“ Ist die Pfälzerin schlau? Schwer zu sagen, denn sie hat sich durch die unwahrscheinlichsten „Tatort“-Plots der Serie zu ackern. Kombinatorische Brillanz ist da meist nicht vonnöten. Fest steht, daß Lena Odenthal dem Alltag al dente begegnet. Selbst Spaghetti ißt sie mit Power. Authentisch auch: „Ihre Mannschaft war der 1. FC Kaiserslautern und ist jetzt der SC Freiburg, das entspricht ihrer Lebensphilosophie“ (SWF-Charakterprofil). Ihr Watson heißt Mario Kopper. Der softig-bullige Italo gibt Schulter, wenn Lena sich nach Megaschrecken anlehnen muß.

Fleiß in Perlon

Miriam Koch (Roswitha Schreiner)

Bolleräugig und meist ein wenig aufgeregt wippt die kleine Kommissarin am Mantelsaum ihres väterlichen Vorgesetzten Flemming durch die Szenerie. Fräulein Koch ist sexuell keineswegs verklemmt. In der Mittagspause wird schon mal eine Nummer mit dem zukünftigen Gatten geschoben. Im Auto. Sie gehört zu jenen Blondinen, die einen Pfannkuchen schälen, wenn sie Lust auf Marmelade haben. Über solche Witze würde sie allerdings nie lachen. So emanzipiert ist sie denn doch. Als Braut hat sie dem „Tatort“ jetzt den Rücken gekehrt. Selbst wenn sich ihre Babypause bis zur Rente hinzieht – die Köchinnen werden nicht von der Bildfläche verschwinden. Miriam Koch ist der Watson von Kommissar Flemming.

Die Erotik der Wodkafahne

Bella Block (Hannelore Hoger)

Körperlich ist die rothaarige Fahnderin bereits vor einem Vierteljahrhundert aus dem „Fit for fun“-Depot gerutscht. Das hindert sie jedoch nicht daran, ihre Wrackigkeit selbstbewußt zu zelebrieren. „You're welcome“, schnalzt sie ihrem jugendlichen Lover entgegen und pfegt dabei ihre Blusenknöpfe selbst zu öffnen. B. B. weiß, daß für einen guten Schluck Poesie immer Zeit ist, und umgeht bei der Lösung von Morden körperliche Strapazen. Hart genug für die belesene Kommissarin, daß sie sich immer wieder aus einem piefigen Käfer zu pulen hat. In der Romanvorlage fährt die Block schließlich Porsche. Ihr Watson heißt Michael und wird als Dreingabe zu Wodka- Orange vernascht.

Der Paloma-Picasso-Appeal

Rosa Roth (Iris Berben)

Rosa Roth scheint zu wissen, daß ihr Name ein Witz und sie eigentlich Iris Berben ist. Allein die Wahl des absolut schweißfesten Make-ups beweist einen Sinn für Pragmatismus, der sich mit ihrem enormen Mut nun gar nicht vereinbaren läßt. Geisel in U-Bahn gefällig? Rosa klemmt sich freiwillig an den Pistolenlauf des irren Langzeitstudenten. Iris kann ja nichts passieren. Immerhin weiß Kommissarin Roth auch, daß aus Jungs nie Männer werden und gelungene Telefonate nur mit Frauen möglich sind. High Heels werden nur von „Tatort“-Kollegin Lea Sommer (Hannelore Elsner) offensiver getragen. Es gibt keinen richtigen Watson an ihrer Seite, denn Iris Berben gehört allen Deutschen.

Der Kaschmir/Leder-Kontrast

Doppelter Einsatz: Sabrina Nikolaidou (Despina Pajanou)/Eva Lorenz (Sylvia Haider)

Sabrina, der Motoradfahrerin, lappt ständig eine Handschelle von der Jeans auf die Gesäßtasche. Wird hier die Leck-mich-Attitüde satirisch verschärft? Kopilotin Eva jedenfalls hat ein Auge für den Witz dieser übertriebenen Burschihaftigkeit, die sie mit lässig-hanseatischer Eleganz und dem einen oder anderen smarten Spruch neutralisiert. Das griechisch-österreichische Gespann wird unter anderem zusammengeschweißt durch die tumbe Rechtslastigkeit einiger Kollegen. Denen rutscht bei Verhören manchmal die Hand aus. Weshalb ihnen das unschlagbare Doppel ab und an auf die Finger klopft. Ihr bevorzugter Watson heißt Mike Lehmann, weil er ein junger, unkomplizierter Wasserträger ist.

Die nächste „Kommissarin“ ermittelt am Dienstag um 18.55 Uhr in der ARD (Start einer Wiederholung von 13 Folgen mit Hannelore Elsner)