: „Schröder ist durch und durch altmodisch“
■ Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, Präsident von Eurosolar und Vorsitzender des SPD-Umweltforums, über den SPD-Beinahe-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder
taz: Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Wolfgang Clement wettert gegen die Technikphobie der Deutschen und verlangt mehr Gentechnik, mehr Abfallverbrennung, mehr Auto. Herr Schröder findet, daß ein „Overkill der Umweltbürokraten“ unsere Wirtschaft lahmlegt. Ist es wieder schick in der SPD, auf die Umwelt einzuprügeln?
Hermann Scheer: Einige wenige finden das offenbar schick, weil sie unsere Gesellschaft mit einem Industrieunternehmen verwechseln, das auf die Umwelt keine Rücksicht nehmen will. Was hier unter dem Etikett einer neuen Aufbruchstimmung für die Wirtschaft daherkommt, ist in Wahrheit eine ökologische Abbruchstimmung, die keine Chance hat, in der SPD eine Mehrheit zu finden.
Welchen Rückhalt hat denn Ministerpräsident Gerhard Schröder mit solchen Positionen in Ihrer Partei?
Mit Sicherheit keinen großen. Aber viele behandeln einen potentiellen Kandidaten eben sehr vorsichtig. Ich finde es falsch, bei einer Kernfrage solche Rücksichten zu nehmen. Es geht bei der Ökologie nicht um den Schutz eines kleinen Feuchtbiotops. Es geht um eine neue wirtschaftliche Produktionsweise, um die Tatsache, daß die Ökologie auf Dauer die überlegenere Ökonomie ist, weil sie soziale Kosten spart. Sie vermeidet Gesundheitskosten, Umweltschäden. Es geht um die Zukunft. Wer sich gegen die ökologische Herausforderung stellt, hat einen beschränkten Realitätsbegriff.
Schröder sagt das alles ja nicht zum erstenmal. Aber kaum einer widerspricht innerhalb der SPD.
Es widersprechen viele.
Aber doch nur im stillen Kämmerlein.
Man kann nicht die Redaktionsstuben besetzen, damit die Kritiker zu Wort kommen.
Glaubt Schröder eigentlich selbst, was er da sagt, oder ist das ein taktisches Mannöver, um Wirtschaftskompetenz zu demonstrieren?
Ich weiß nicht, ob er das alles selbst glaubt. Ich weiß nur, daß dieser Position energisch widersprochen werden muß.
Schröder wird als Kanzlerkandidat regelrecht herbeigeschrieben. Wer will ihn noch verhindern?
Ich bin mal neugierig, welches Entscheidungskriterium bei der SPD im Vordergrund steht. Es gibt ja einen Konflikt darüber, wer den Kanzlerkandidaten der SPD auswählt: ein paar Medien oder die Partei selbst.
Und wer wählt ihn aus?
Viele in der Partei lassen sich einreden, es gäbe nur eine Chance mit Schröder. Dabei vergessen sie, daß eine Bundestagswahl eine politische Richtungswahl ist. Es geht nicht nur um eine Person, sondern um die Zukunft sozialdemokratischer Politik und die der Gesellschaft.
Schröders Ruf nach einer Auszeit für die Umwelt bedeutet ja nicht nur Prügel für den Ökoflügel der SPD. Das muß doch auch für Lafontaine eine Provokation sein?
Gerhard Schröders Position ist vor allem durch und durch altmodisch. Ein veraltetes Konzept, das im Gewande des Modernisierers daherkommt. Die ökologische Debatte ist ja längst viel weiter. Wer will denn heute noch Umweltpolitik mit Hilfe eines bürokratischen Korsetts durchsetzen?
Heute geht es in der Umweltpolitik um eine neue Stoff- und Energiegrundlage, deren Mobilisierung eine große technologische Herausforderung darstellt. Das ist der Kernpunkt.
Nochmal: Ist es auch eine Provokation an die Adresse Lafontaines?
An die Adresse aller, die Zukunft verantwortlich gestalten wollen.
Interview: Manfred Kriener
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