: Aufklärung ziemlich unbeliebt
Abschied vom Laizismus? Im Berliner Haus der Kulturen der Welt widmet sich eine Gesprächsreihe den wechselseitigen Handreichungen zwischen „Glaube, Vernunft und Macht“. Auch Huntington ist geladen ■ Von Mariam Niroumand
Trotz aller andersbunten Masken und kontaktfreudigen Internet-Installationen im einladenden Foyer scheint im Haus der Kulturen immer eine gewisse Anstrengung zu herrschen: Die Differenz der Kulturen soll immer zugleich emphatisch bejaht und in Verständigung nivelliert werden. Außerdem operiert man als „Insel“: Man sieht sich umgeben von Medien, Politikern und einem gesellschaftlichen Mainstream, die tendenziell xenophob, eurozentrisch und auf Ausbeutung ausgerichtet sind. Die Einladung an Samuel Huntington, dem am nächsten Sonntag hier Gelegenheit gegeben werden soll, seine Thesen vom „Krieg der Kulturen“ zu verteidigen, ist da ein kleines Camp David.
Huntington tritt im Rahmen der Diskussionsreihe „Glaube, Vernunft und Macht“ auf, die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Wissenschaftskolleg entstanden ist und somit verspricht, einige renommierte Religionswissenschaftler, Anthropologen, Historiker und Politologen zu versammeln. Den Auftakt machte am Samstag abend die vom Islamwissenschaftler Aziz Al-Azmeh moderierte Runde zum Thema „Apologeten, Aufklärer und Historiker – Zur Dynamik religiöser Diskurse“.
Hinter dem imposanten Titel verbarg sich zunächst die vom Historiker Jacques Waardenburg geäußerte Überzeugung, Bewegungen wie die Scholastik oder die Reformation seien nichts als apologetische Strategien zur Legitimation des Christentums gewesen, dessen Macht dann sang- und klanglos in die Hände der Aufklärung gefallen sei – die ihrerseits dann schnell zur Religion mit messianischem Anspruch mutierte. Mit diesem Anspruch sei sie in die Welt ausgeschwärmt. Dabei hätten nichteuropäische Völker eine völlig andere Vorstellung von Vernunft!
Sein Kollege Frank Reynolds, der sich an der Universität Chicago mit Buddhismus beschäftigt, pflichtete ihm mit einem Exempel bei: Über Jahrhunderte habe es in Sri Lanka eine Vorstellung von Reinheit gegeben, die in erster Linie mit mönchischen Lebensformen verbunden gewesen sei. Die westliche Aufklärung in Gestalt eines Kolonisators habe dann zunächst die rituellen, mystischen und „abergläubischen“ Aspekte des religiösen Lebens angefochten, um dann aber schließlich die Idee von der „Reinheit der Nation“ zu lancieren, die dann in den noch immer währenden Haß zwischen Tamilen und Hindus gemündet sei.
Bezeichnenderweise war es gerade der Islamist Nasr Hamid Abu Zaid – bekanntermaßen ein Opfer religiöser Gesetzgebung, der von seiner Frau wegen seiner Koran- Interpretationen zwangsgeschieden wurde –, der dem politischen Projekt der Aufklärung noch etwas abgewinnen konnte. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sie eine islamische Erfindung des 8. Jahrhunderts war: Zaid sieht sich als Nachfolger der averroischen Gelehrten, die mit einem aristotelischen Vernunftbegriff gegen die von der herrschenden Dynastie gepflegte Vorstellung von Vorbestimmung, tribaler Hierarchie und Erbmacht zu Felde gezogen waren. Die Botschaft des Koran sei die Rationalisierung der Gesellschaft. Bei der Beschreibung seiner eigenen prekären Operation tauchen die Formeln wieder auf, die noch jede religiöse Modernisierung begleitet haben und die Zaid zwangen, sein Leben in Ägypten aufzugeben. „Der Koran ist eine Gottesgabe, aber die Sprache, in der sie uns gebracht wird, ist menschengemacht, also historisch, linguistisch, soziologisch determiniert. Diese Forschungen braucht man, um zu unterscheiden, was Beschreibung und was Anweisung ist.“ Ein Weg dazu sei es, die Suren des Koran wieder in die ursprüngliche Reihenfolge zu bringen, die in den zwanzig Jahren seiner Entstehung mehrmals verändert worden ist. „Das ist weder Philologie noch eine letzte religiöse Wahrheit. Ich bin schließlich kein Prophet.“
Außer ihm mochte niemand das politische Projekt der europäischen Aufklärung – Trennung von Kirche und Staat, von Religion und Wissenschaft, Geld und Macht, Kirche und Politik etc. – energisch verteidigen. Im Gegenteil scheint sich in der Philosophie des Hauses ein Abschied von der Idee des laizistischen Staates anzubahnen, die ja schließlich auch eine „westliche Idee“ ist. Die zweite Veranstaltung der Reihe ist diesem Thema gewidmet.
Al-Azmeh bestand außerdem darauf, die Irrationalität sei auch keine Angelegenheit ausschließlich der „Dritten Welt“. „Gerade die westliche Postmoderne gehört zu den Aufklärungsgegnern.“ Auch frage er sich, warum das Reden über kulturelle Unverträglichkeiten der Kulturen mittlerweile das Reden über Ausbeutung, wie es noch in den siebziger Jahren möglich gewesen sei, verdrängt habe, obwohl die Ausbeutung doch eklatant zugenommen habe. „Soll da etwas verschleiert werden?“ Allerdings konnte außer „den Medien“ und natürlich Samuel Huntington so recht niemand dingfest gemacht werden, der für einen echten Clash gut gewesen wäre. Dafür meldete sich, als die Nebelschwaden sich immer mehr verdichteten, ein Russe aus dem Publikum und fragte: „All die Probleme, die Sie da erwähnen – haben Sie es eigentlich mal mit Marxismus versucht?“
Nächste Termine: „Krise des säkularen Staates“, 24. 6.
„Was hält den Nationalstaat zusammen“, 26. 6. und „Krieg der Kulturen“, 29. 6. im Haus der Kulturen der Welt, Berlin
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