: Ein altes Gesicht für neue Zeiten
Spaniens Sozialisten haben einen neuen Chef: Joaquin Almunia soll die Partei von Grund auf erneuern. Doch bereits bei der Wahl des Parteivorstands kann er sich nicht durchsetzen ■ Aus Madrid Reiner Wandler
„Ich dachte, das wird ein ganz normaler Parteitag. Dann bin ich gestern aufgebrochen, und habe meine Rede zu Hause gelassen“, gestand Rudolf Scharping in seiner Funktion als Präsident der Europäischen Sozialisten am Samstag den 945 Delegierten der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (PSOE). Verständnisvolles Kopfnicken im Saal. Ja, ein seltsamer Kongreß war das. Alles deutete auf harte Flügelkämpfe zwischen den Anhängern von Parteichef Felipe González und denen seines Stellvertreters Alfonso Guerra hin. Beide Strömungen wollten den 34. Parteitag nutzen, um Startlöcher für einen künftigen Führungswechsel aufzuteilen. Doch wenige Minuten nach der Eröffnung des Kongresses kam die Überraschung.
„Ich werde nicht mehr für das Amt des Generalsekretärs kandidieren.“ Es folgten 15 lange Sekunden fassungsloses Schweigen, bis die Delegierten begriffen, was sie da soeben aus dem Mund von Felipe González vernommen hatten. Als der ebenfalls völlig verblüffte Kontrahent Guerra wenig später auf einer improvisierten Pressekonferenz seinem Beispiel folgte, war die Schlagzeile zum überraschenden Gang der Dinge da: „Felipe erzwingt eine grundlegende Erneuerung.“
Das Plenum im Madrider Kongreßzentrum interessierte plötzlich niemanden mehr. Ein soziales Europa, 35 Stundenwoche, die Verteidigung des Sozialstaats gegen die konservative Regierung von José Maria Aznar – keines der Themen wollte die Gemüter erhitzen. Antrag, Gegenrede, Durchstimmen und hinaus auf die Gänge, auf der Jagd nach Gerüchten von den zahlreichen Treffen der Vertreter der regionalen Delegationen. Mal mit, mal ohne González redeten sie sich bis in die frühen Morgenstunden die Köpfe über die Nachfolge heiß. Frankreich und nicht Großbritannien sei das Vorbild, dem es nachzueifern gelte. Um die politische Mitte und damit eine regierungsfähige Mehrheit zurückzuerobern müsse ein alterfahrener spanischer Jospin her, kein Newcomer wie Blair. Die Ideallösung, González Kronprinz Javier Solana, schied aus. Sein Posten als Nato-Generalsekretär hält ihn in Brüssel fest. Der Kongreß gebar schließlich ein altes Gesicht für die neuen Zeiten: Joaquin Almunia (49), Sprecher der sozialistischen Parlamentsfraktion.
Der von den Jesuiten ausgebildete Rechts- und Wirtschaftswissenschafter trat 1974 der PSOE bei. 1979 wurde er Parteisekretär für Gewerkschaftspolitik, und zwei Jahre später Autor des Wahlprogramms, das 1982 González zum Sieg verhalf. Der junge Baske übernahm das Arbeitsministerium. Ein Rahmenabkommen zwischen den Tarifparteien, die Arbeit des ehemaligen Gewerkschaftsberaters ließ sich gut an. Und doch sollte er als derjenige in die Geschichte eingehen, der 1988 den ersten von insgesamt drei Generalstreiks in der Amtszeit González heraufbeschwor – und damit den Bruch zwischen der Partei und der Gewerkschaft UGT.
Als Minister für Öffentliche Verwaltung (1986–1991) verhandelte Almunia erfolglos über Kürzungen bei Beamtengehältern, Renten und Arbeitslosengeld. 1994 rief González „den Mann mit dem nötigen politischen Gewicht für schwierige Momente“ als Fraktionschef in sein Team. Der schlagkräftige Redner stemmte sich gegen die Korruptionsvorwürfe der sich im Aufwind befindlichen Opposition. González verlor 1996 trotzdem die Wahlen.
Jetzt steht Almunia vor der schwierigen Aufgabe, die PSOE nach 23 Jahren González zu erneuern. Dazu hätte er den bisher 35köpfigen Parteivorstand gern verkleinert. Doch die schwierige Konsensfindung ließ das nicht zu. Unter den frischgewählten 33 Vorstandsmitgliedern finden sich an den entscheidenden Stellen kaum neue Gesichter. Und die Regionalfürsten, deren Einfluß Almunia gern zurückgedrängt hätte, sind ebenfalls fast alle wieder mit von der Partie.
Noch steht nicht einmal fest, ob Almunia die PSOE in drei Jahren – falls es nicht zu vorgezogenen Neuwahlen kommt – in den Wahlkampf führen wird. Zum einen behält sich González die Möglichkeit zu einem erneuten Kräftemessen mit Aznar vor, zum anderen sehen viele in Almunia nur einen Platzhalter, der die Zeit überbrücken soll, bis das alte und neue Vorstandsmitglied Solana aus Brüssel zurückkehrt und die Partei unter seine Fittiche nimmt.
Rudolf Scharping versuchte seinen spanischen Genossen Mut zuzusprechen: „Nehmt euch bitte kein Beispiel an der deutschen Sozialdemokratie. Wir sind seit 1982 in der Opposition. So lange muß das nicht dauern.“
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