: „Was darf's denn sein?“ Von Klaudia Brunst
Daß Erika nicht wirklich pünktlich sein würde, war eigentlich klar. Trotzdem hatten wir uns entschieden, rechtzeitig zu jener „super tollen, gänzlich unbekannten“ Pizzeria aufzubrechen, die sie uns per Telefon so euphorisch beschrieben hatte. „Geheimtip? Wer weiß, ob wir das sofort finden“, unkte meine Freundin, „und selbst wenn: dann haben wir beide wenigstens noch einen kleinen Moment für uns. Wenn ich's recht bedenke, sehen wir uns seit unserem Umbau eigentlich nur noch im Bauhaus oder im Bett.“ Erstaunlicherweise stimmte Erikas Wegbeschreibung praktisch aufs Haar. Wir waren mehr als pünktlich. Erikas Zeitgefühl eingerechnet, blieb uns mindestens noch eine halbe Stunde Zweisamkeit.
„Hoffentlich ist überhaupt noch ein schöner Tisch frei“, bangte meine Freundin, während sie noch versuchte, für das U-Schloß ihres Fahrrads einen geeignet mickrigen Baum zu finden. Irgendwie hatte sie ihren verzagten Abend. „Vielleicht hätten wir doch reservieren sollen?“ – „Nicht nötig“, gab ich aufmunternd zurück. „Wir haben die freie Auswahl.“ – „Na, das wird ein schöner Geheimtip sein, den Erika da ausgetrüffelt hat“, nuschelte meine Liebste in sich hinein, während sie nun doch den Mut aufbrachte, ihr Fahrrad an meines zu schließen. „Wir fahren doch abends zusammen zurück, oder?“
Ich hatte uns währenddessen einen Tisch ausgewählt, den ich für annähernd perfekt hielt. Noch halb in der sich senkenden Abendsonne, aber doch von einer weinbewachsenen Wand weitgehend windgeschützt. „Sie haben für die späteren Abendstunden Schauer angesagt“, gab meine Freundin zu bedenken. „Du willst doch nicht im Ernst bei diesem schönen Wetter drinnen sitzen?“ war ich nun doch erstaunt. „Ich dachte an einen Platz unter einem Sonnenschirm“, gab meine Freundin patzig zurück. „Wenn sie den mal bei Regen nicht reinholen...“, versuchte ich einen Witz, während ich meine Sachen zusammenklaubte, um den Tisch zu wechseln. „Meinst du?“ wurde meine Freundin unsicher und steuerte dann doch lieber einen kleinen freien Tisch unter dem Baldachin an. „Direkt an der Kasse?“ Das gefiel mir nun wieder gar nicht. Als Kompromiß schlug ich einen winzigen Eckplatz vor, der wegen des Baldachins noch fast regensicher, wenn auch völlig im Schatten lag.
Wir hatten uns kaum gesetzt und der Kellnerin gewunken, da wurde der große runde Nachbartisch von einer Familie bevölkert, die „einen Tisch für sechs“ reserviert hatte und nun offenbar meinte, das ganze Gartenlokal gepachtet zu haben. „Hier ist es mir zu laut!“ stellte meine Freundin kategorisch fest und ließ ihren Blick erneut über die ansonsten trostlos leere Terrasse schweifen.
„Was darf's sein?“ erkundigte sich die Kellnerin nach unseren Wünschen. „Ein ruhiger Tisch im Halbschatten, eine Selter und die Karte“, entgegnete meine Freundin, nun schon deutlich mißgelaunt. Aber die Bedienung ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Sehr gern, die Dame“, gab sie spitz zurück und deutete, ohne den Blick von ihrem Block zu nehmen, auf ein kleines Schildchen Freie Tischwahl. „Wir plazieren schon seit Herbst '89 nicht mehr. Die Wende hat eben doch etwas gebracht.“
„Hätte nie gedacht, daß ich der Planwirtschaft mal etwas abgewinnen könnte“, meinte meine Freundin. „Aber dieses Überangebot überfordert mich einfach.“
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