: „Lieber Radieschen ziehen“
■ Bürgerresolution gegen Erweiterung des Concordia-Tunnels / Einhundert besorgte AnwohnerInnen trafen sich und wollen keine Stadtautobahn durch Schwachhausen
Wer lernen will, wie man WählerInnen verprellt, sollte sich schleunigst mit dem CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dieter Focke verabreden. Der stellvertretende Sprecher der Baudeputation der Bremer Bürgerschaft gab darüber am Mittwoch abend vor hundertköpfigem Publikum gekonnten Anschauungs unterricht – indem er die konkreten Fragen besorgter Schwachhauser BürgerInnen zum Sachstand der Planungen über eine Verbreiterung der Bahnunterführung „Concordia-Tunnel“möglichst vage beantwortete. Wie der chinesische Affendrilling nichts sehen, nichts hören – und vor allem: nichts sagen demonstrierte er ein Ausmaß an Ahnungslosigkeit, das sein Publikum anfangs noch empörte – nicht zuletzt deshalb, weil Focke mit seinen Äußerungen „Wir sind in der Deputation noch nicht mit dem Thema befaßt“, oder: „Morgen passiert noch nichts“, weit hinter dem allgemeinen Kenntnisstand zurückblieb.
Erst nachdem sich die trotzige Haltung des Politikers gegenüber den BürgerInnen allzu deutlich als Argumentationsschwäche offenbarte – „eine vierspurige Straße ist nicht gleich eine Autobahn und bedeutet nicht unbedingt mehr Abgase“– , entlud sich die verspannte Stimmung im Saal in Heiterkeit und schallendem Gelächter.
Unverblümt machten die Anwesenden ihrem Ärger über die Verkehrsplanung von CDU-Bausenator Bernt Schulte dennoch Luft. „Der zieht jetzt 30 Jahre alte Pläne von einer Trasse mitten durch die Stadt aus der Schublade.“Anlaß für die Empörung sind Äußerungen des Senators, die Bahnunterführung am Concordia-Gebäude zwischen dem vorderen Schwachhausen und der östlichen Bahnhofsvorstadt um rund neun Meter zu verbreitern. Eine entsprechende Ansage an die Deutsche Bundesbahn ist bereits ergangen.
Was das für Folgen haben könnte, hatten die AnwohnerInnen als Horrorvision auf einem Wandbild skizziert: Darauf fehlte nur noch ein Stück vierspurig ausgebaute Schwachhauser Heerstraße samt Nadelöhr Concordia-Tunnel. Sie könnte über den Breitenweg führen und dort in die Schnellstraße Richtung Oldenburg münden. „Damit wäre der Weg für den Durchgangsverkehr frei“, schwant AnwohnerInnen Arges. Schon jetzt fühlen sie sich von zunehmendem LKW-Durchgangsverkehr bedrängt. „Wir wissen, daß Transportunternehmer ihre Fahrer anweisen, durch die zu Stadt fahren“, hieß es. „Die machen vom Güterverkehrszentrum aus just-in-time Zulieferung direkt an unserem Schlafzimmer vorbei.“Und: „Wenn es die Straße erstmal vierspurig gibt, wächst der Druck, weiterzubauen.“
„Nicht in den nächsten zwei Jahren“, versicherte aber der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Stadt, Wolfgang Grotheer. „Wir machen nämlich nur, was im Koalitionsplan steht.“Und da sei von einem vierspurigen Ausbau dieser Strecke keine Rede. Auch habe sein Unterbezirk bereits einen Beschluß gefaßt, in dem die Planung eines Parkhauses am Rembertikreisel „als schädlich für die angrenzenden Stadtteile“abgelehnt wird.
Als größter Held im Umgang mit Bürgersorgen profilierte sich am Mittwoch abend Viertel-Bürgermeister Robert Bücking. Er hatte sich auf die Frage des Abends: Kommt jetzt doch die Stadtautobahn? gründlich vorbereitet. Schon ein paar Telefonate hatten ihm Erkenntnisse gebracht, „von denen Sie vielleicht noch lernen können, wenn Sie gut zuhören, Herr Focke“. Nach Bückings Recherchen sitzen auf Kosten von Bremer Landesbank-Vorstandsmitglied Axel Weber bereits Planer am Reißbrett. Sie tüfteln daran, wie mehr Verkehr durch Rembertistraße und Breitenweg fließen könnte. Das Ergebnis, eine Tunnellösung, möglicherweise mit angrenzendem Remberti-Parkhaus, halte er persönlich aber für unrealistisch. „Ich prophezeie: Diese Idee geht den Weg aller Bremer Tunnellösungen“, gab Bücking Entwarnung: „Ich würde noch nicht allzu aufgeregt sein und lieber erstmal im Schrebergarten Radieschen ziehen“.
Dennoch reagierte sein Publikum auf die Recherchen zum aktuellen Stand der Verkehrsplanung im Bereich Schwachhausen und Bahnhofsvorstadt empfindlich. Sowohl die Idee von einem Parkhaus am Rembertikreisel als auch die geplante Verbreiterung des Concordia-Tunnels seien „klare Signale“für eine Trasse durchs Wohngebiet. Dagegen verabschiedeten sie eine Resolution: Die Forderung an den Bausenator, „alle Planungen, die eine Aufweitung des Concordia-Tunnels auf vier Fahrspuren für den Individualverkehr vorsehen, umgehend“einzustellen, wurde – mit der einzigen Gegenstimme Dieter Fockes – einmütig verabschiedet. Stattdessen soll die Behörde lieber eine Neuplanung der gesamten Schwachhauser Heerstraße unternehmen. Ziel: Eine separate Straßenbahntrasse plus zwei Fahrbahnen für den Individualverkehr. ede
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