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Fünf wertlose Türme

Deutschlands Basketballer können beim 55:75 gegen Kroatien nicht an Europas Hierarchie rütteln  ■ Aus Barcelona Matti Lieske

Wenn sich in den vergangenen Jahren die europäischen Basketball-Mannschaften zum Wettstreit trafen, waren die Verhältnisse ziemlich klar. Kukoc und Radja gegen Divac, und Danilovic gegen Sabonis und Marciulonis. Kroatien, Jugoslawien und Litauen waren die unbestrittenen großen Drei, denen allenfalls noch die Russen mit ihrem wieseligen Spielmacher Bazarewitsch ein Schnippchen schlagen konnten. Oder, bei der EM 1993 in einer einmaligen Sternstunde, das deutsche Team.

Inzwischen ist die europäische Basketballwelt aus den Fugen. Die Stars sind gealtert, nicht mehr willens oder, verletzungsbedingt, in der Lage, nach anstrengender NBA-Saison ein paar Wochen im Nationalteam dranzuhängen. Die Dominanz ihrer Mannschaften ist dahin. Glaubte man zumindest vor der EM.

In der Qualifikation hatten Teams wie die Ukraine, Polen, Slowenien oder Lettland für Aufsehen gesorgt, während sich die jungen, neu formierten Teams aus Litauen, Kroatien oder auch Deutschland nur mit großer Mühe die Teilnahme sichern konnten. Viel war die Rede von der ausgeglichensten EM seit langem. Es gibt eine Ausnahme: Jugoslawien, das seinen alten Kader bis auf Center Vlade Divac beisammen hat und, so Italiens Coach Ettore Messina, „allen anderen weit voraus ist“. Ansonsten herrschte große Ungewißheit darüber, wer was zu bieten hat. Spaniens Coach Lolo Sainz sprach allen aus dem Herzen, als er einen Tag vor Beginn der EM voller Ungeduld sagte: „Man muß das Spiel abwarten, sonst sind alle Worte nichts wert.“

„Das Spiel“ zeigte sehr schnell, daß die alten Hierarchien keineswegs gebrochen sind. Natürlich gewannen die Jugoslawen in standesgemäßer Deutlichkeit gegen die Polen (104:76), auch wenn sich diese eine Halbzeit lang als äußerst aufmüpfig erwiesen. Natürlich gewannen die Gastgeber gegen die Ukraine (82:54), fertigte Griechenland die Türken ab (74:52), besiegten die Russen die Bosnier (65:55), schlug Litauen Israel (75:60), Italien die Letten (85:75). Und natürlich verlor die deutsche Mannschaft gegen Kroatien. Das einzige umkämpfte Match war das 80:75 der Franzosen gegen die Slowenen. Ansonsten konnte von einer Ausgeglichenheit wie etwa in der Europaliga keine Rede sein.

Die Zuweisung der Plätze erfolgte kurz und schmerzvoll, besonders für das deutsche Team. Das Bemerkenswerte am ersten Auftritt der Deutschen in Badalona war nicht die klare 55:75-Niederlage gegen Kroatien und auch nicht die Tatsache, daß sie „wie eine C-Jugend-Mannschaft wirkte, die immer ein, zwei Schritte zu langsam war“ (Spieler Denis Wucherer), sondern daß an diesem Abend die Zukunft des europäischen Basketballs auf dem Platz stand. Ebenso wie Bundestrainer Vladislac Lucic hat auch Kroatiens Coach Petar Skansi – aus der Not des Verzichts auf seine NBA-Stars geboren – einen äußerst jungen Kader zusammengestellt, was nichts anderes bedeutet, als daß beide Mannschaften in den kommenden Jahren in ähnlicher Besetzung häufiger aufeinandertreffen werden. Die Partie vom Mittwoch verheißt nichts Gutes.

„Wie immer haben die Deutschen vier Türme über 2,08 dabei“, hatte die spanischen Zeitung El Pais geschrieben und sich sogar noch verzählt. Mit Tim Nees (2,09 m) sind es fünf Türme, deren Wirkung gegen Kroatien jedoch vollkommen verpuffte. Zwei, Kühl und Malbeck, kamen gar nicht zum Einsatz, die anderen standen staunend und mehr oder weniger tatenlos unter dem Korb herum, während die Kroaten an ihnen vorbeisausten, allen voran der Bonner Bundesligaspieler Sinisa Kelecevic (19 Punkte) und der 19jährige Josip Sesar (16). Hupmann erhaschte einen Rebound, Nees gar keinen, der unerfahrenste Center, Patrick Femerling, immerhin sieben. Das Rezept, körperliche Überlegenheit gegen spielerische Brillanz einzusetzen, versagte auf der ganzen Linie.

„Wir waren sehr überrascht, daß es so leicht ging“, wunderte sich Kelecevic. Schließlich hatten kroatische Zeitungen, wie Lucic zuvor stolz berichtete, Deutschland zu den Favoriten der EM gezählt, und auch Spaniens Lolo Sainz hatte nicht mit Vorschußlorbeeren gespart: „Das einzige, was den Deutschen fehlt, ist das Gefühl, ein wirklich starkes Team zu sein.“ Realistische Selbsteinschätzung muß man dies nach dem mißratenen Auftakt nennen, der die Erkenntnis brachte, daß Lettland, Polen, Ukraine und vielleicht heute abend Spanien die Teams sind, die man schlagen kann, nicht aber Kroatien, Jugoslawien, Rußland oder Litauen. Es sei denn, in einmaligen Sternstunden.

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