: Aus den Mülltonnen der Glühbirnenfabrik
■ Unter dem Motto „Volkskino“ zeigt der NDR Amateurfilme aus 40 Jahren DDR (Sa., 14 Uhr, N3)
Der Serientitel „Volkskino“ ist keineswegs ein Propaganda- Schlagwort. Alfred Behrens und Michael Kuball, die sich bereits mit einer Reihe „Familienkino“ einen Namen machten, dachten, damit am besten auszudrücken, was zu sehen ist: Kino, das im Volk entstand, von und mit und für den Freundes- oder Kollegenkreis, Opa August, Tante Else und die Kinder – oder so ähnlich.
Diesem Hobby wurde im Osten mit derselben Hingabe gefrönt wie diesseits von Trave und Elbe. Das zeigt sich schon in der ersten Folge über die Aufbaujahre gleich nach dem Krieg – einer Zeit, in der sich die Bilder aus Ost und West noch sehr gleichen. Das Auseinanderdriften der Lebenswelten und des Lebensgefühls spiegelt sich erst sehr viel später: „In den Filmen der 70er“, so Michael Kuball, „kommt einem die DDR viel fremder vor als in den 50ern. Statischer, organisierter, trauriger, wie ich finde.“
Kaum daß Kuball und Behrens vor sechs Jahren begonnen hatten, in Zeitungsanzeigen und kleinen Fernsehspots nach den verborgenen Schätzen zu suchen, wurden sie mit Material so überhäuft, „daß wir bald gar nicht mehr wußten, wohin damit“. Mehr als 300 Stunden Film verschiedenster Art und Technik hatten sie am Ende zu sichten, darunter natürlich auch allerlei aus dem Fundus halboffizieller Filmamateure und sogar Zelluloidstreifen, die Feuerwehrmänner in der Mülltonne einer abgewickelten Glühbirnenfabrik entdeckt und eingesandt hatten.
So fügte sich aus den liebenswert unprofessionellen, manchmal aber auch ganz trickreich arrangierten Puzzleteilen eine einzigartige Chronik deutschen Alltags, die zumeist von den Autoren selbst kommentiert und aus der Rückschau auch oft reflektiert wird. Mit Humor und Selbstironie, aber auch mit Sarkasmus. Und der betrifft beileibe nicht nur die einstigen Pankower Panik-Orchester, sondern unüberhörbar auch den Bundeskanzler und seine Sprüche von den blühenden Landschaften. Geschichtsschreibung von unten (in einer sich direkt anschließenden zweiten Staffel auch aus fünf Jahrzehnten Deutschland überhaupt), ganz privat und eben darum sehr politisch. Denn sie offenbart ungleich mehr darüber, wie die Menschen fühlten, dachten, lebten zwischen Ostsee und Erzgebirge bis zu den Demonstrationen, am Alex etwa, und dem Fall der Mauer, als es die offiziellen Medien, die „Tagesschau“ oder gar die „Aktuelle Kamera“ je vermocht hätten.
Daß der NDR das alles nun ausgerechnet in den Sommerferien versteckt – Samstag nachmittags um zwei – auch das ist wohl Politik. Ulla Küspert
Zusätzlich zeigt der NDR die DFF-Produktion „Luv und Lee“, donnerstags, 23 Uhr, und die tschechische Serie „Die Frau hinterm Ladentisch“, ab dem 30. Juni immer montags, 0.00 Uhr
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