piwik no script img

Als Prestigebühne stigmatisiert

Im neuen Südafrika gibt es keine Widersprüche mehr. Jetzt soll auch die Kunst konsensfähig sein, und es darf keine Refugien mehr geben: Bis 1999 werden alle Staatstheater privatisiert, das Nico Malan in Kapstadt schließt schon jetzt  ■ Von Jost Pietzcker

Kapstadt gilt als die europäischste Stadt in Südafrika. Mit der Besetzung der Südspitze durch Jan van Riebeeck hatte die Kolonialisierung des Landes im Jahre 1652 begonnen. An die drei Millionen Einwohner leben heute rund um das Denkmal des holländischen Eroberers. Als Fest begangen wird der Tag seiner Landung jedoch schon lange nicht mehr. Spätestens seit der Regierungsübernahme durch Nelson Mandela vor drei Jahren darf sich Jan van Riebeeck offiziell als geohrfeigt betrachten. Und mit ihm die gesamte europäische Kultur.

Die momentane Abwicklung arrivierter Staatstheater ist nur ein Beispiel für den Abbau kolonialer Kulturformen im neuen Südafrika. Man spricht auch von Brandrodung. „People want to get rid of the past.“ Die zu Zeiten der Apartheid gewachsenen Strukturen des Kultur- und Bildungsbetriebs werden nicht erneuert, sondern gleich völlig zerstört. Daß hierbei auch Künstlern und Intellektuellen die Arbeitsgrundlage entzogen wird, die sich selbst für die Abschaffung der Apartheid stark gemacht haben, fällt angesichts der Freude über die gewonnene Selbstbestimmung kaum ins Gewicht.

Nach einem jüngst vom Parlament verabschiedeten Papier sollen alle südafrikanischen Staatstheater bis zum Jahre 1999 privatisiert werden. Die vorhandenen Häuser mit ihrem technischen Personal werden dann nur noch als Abspielstätten für Gastspiele und für Auftragsarbeiten erhalten. In Kapstadt betroffen ist davon das Nico Malan Theater nahe der Waterfront, das 1971 eröffnet wurde.

In seinem luxuriös-modernistischen Komplex hat es die drei Sparten Drama, Ballett und Oper zusammengefaßt. Tanz- und Musikveranstaltungen sind voll ausgebucht und werden vorerst weiter bezuschußt. Das Drama Department konnte seinen Wert hingegen nicht durch den Zuspruch eines breiten Publikums belegen und wird schon zum Ende der Spielzeit geschlossen. Theater machen kann im neuen Südafrika nur, wer den breiten Publikumsgeschmack trifft oder gesonderte Zuschüsse für eine als pädagogisch wertvoll erachtete Projektarbeit erhält. Hohe Kunst für eine kleine intellektuelle Elite soll nicht mehr aus dem Staatshaushalt bezahlt werden.

Im Feuilleton der Cape Times wird diese Regelung begrüßt. Hier hofft man auf ein neues und vielleicht sogar besseres Theater. Die Subventionierung des Departments mit zuletzt 300.000 Mark im Jahr stehe im Widerspruch zu den Gesetzen der freien Marktwirtschaft. Den Wünschen des Publikums müsse mehr entsprochen werden. Ernsthafte Kunst soll sich dem Bedürfnis nach Unterhaltung öffnen.

Ohne festes Ensemble und die Freiheit zum Experimentieren, so argumentieren natürlich die Gegner, werde jedoch niveauvolle Theaterarbeit bald unmöglich gemacht. An den beiden anderen Theatern in Kapstadt, einer privaten Bühne und dem zur Universität gehörigen Baxter-Theater, könnten nur noch einfältige Komödien und Musicals gegeben werden, da ihnen die Projektförderung nicht reicht, so der künstlerische Leiter des Drama Departments am Nico Malan Theater, Marthinus Basson. „Our art doesn't sell! We need a company system for drama to survive.“

Die gegenwärtige Schließung der als Prestigebühnen stigmatisierten Staatstheater resultiert aus der schlechten Haushaltslage, ist aber auch Auswirkung der offiziellen Politik des reempowerment. Refugien der weißen Herren sollen gestürmt werden, Schwarze und Farbige sich ihrer Mehrheit entsprechend am öffentlichen Leben beteiligen. Gleich à la lanterne will man die ehemaligen Machthaber deshalb nicht sehen. Wie alle anderen sollen sie sich am Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft beteiligen. Eine demokratische Qualifizierung dazu findet jedoch nicht statt. Die je individuellen Ansprüche der verschiedenen Bevölkerungsgruppen werden der gesellschaftlichen Notwendigkeit unterworfen, den Kollektivierungsprozeß in Südafrika voranzutreiben.

„If Cape Towns wins, we all win“, prangt es in großen Lettern von der Long Street bis in die squater camps vor Belleville. „We“, das sind nach neuester Definition alle in Südafrika geborenen Menschen gleich welcher Hautfarbe. Und was gewonnen werden soll, ist die Endausscheidung für die Olympiastadt 2004. Allein die Realität steht diesem staatlich verordneten Optimismus noch entgegen. „Die baldige Vollendung der anvisierten ,Rainbownation – South Africa‘ wird von der Regierung gerne herbeigeredet, um den Anfeindungen der linken wie rechten Radikalen den Wind aus den Segeln zu nehmen“, so Marthinus Basson. Nur durch die Vorgabe neuer Maßstäbe von Ethik und Moral ließe sich die Vervollkommnung der Menschen jedoch nicht herbeiführen.

Trotzig hat Marthinus Basson seine letzte Spielzeit deshalb einem gesellschaftskritischen Theater gewidmet, das sich der Proklamation einer leicht konsumierbaren Lösung verschließt und zur produktiven Aufarbeitung der Vergangenheit animieren möchte. In seiner Inszenierung von „Drei Schwestern II“, dem neuesten Stück der afrikaansen Dramatikerin Reza de Wet, wird das ganze Weltverständnis einer herrschenden Elite zu Grabe getragen. Das Stück endet mit der Erkenntnis, daß der bisherige Friede nur durch Ignoranz und Lügen gestützt war. Der Sieg des Neuen wird hier jedoch nicht mit dem letzten Vorhang als vollendet dargestellt. Alles andere sei Augenwischerei.

Wie sein Regiekollege, hat sich auch der Theatermann Keith Grenville früh für die Öffnung des künstlerischen Zirkels gegenüber der Realität stark gemacht und ist nun enttäuscht, daß seine Mitarbeit nicht länger gefragt ist. Vor 25 Jahren arbeitete Grenville als Schauspieler im ersten politischen Off-Theater in Cape Town, im Space Theater, das sich in den achtziger Jahren finanziell nicht mehr über Wasser halten konnte und dann schloß. Das Space war das erste Theater, in dem ein gemischtes Publikum und Ensemble zusammenkam, da es als private Organisation in eine Gesetzeslücke der Rassengesetze fiel. Dennoch arbeitete man unter der ständigen Bedrohung, verhaftet zu werden.

Für das Nico Malan inszenierte Keith Grenville gerade das protest play, mit dem das Space Theater vor 25 Jahren eröffnete und sich deshalb auch gleich von der Schließung bedroht sah. Das Stück „Statements After An Arrest Under The Immorality Act“ von Athol Fugard erzählt die Geschichte eines farbigen Lehrers und einer weißen Bibliothekarin, deren Liebe vor dem besagten „Immorality“-Gesetz als animalisch galt und mit Gefängnis geahndet wurde. Ein Polizist fotografiert die beiden beim Sex und sperrt sie dann nackt in eine Zelle. Eine wahre Geschichte. 25 Jahre alt. Doch mögen sich die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im staatlichen Fernsehen SABCl dieser Tage auch vor jeder Werbeunterbrechung die Hand reichen und singen: „We are one“, in der Realität bleibt „Love across the colour bar“ noch immer ein Tabu.

„Theater ist ein unersetzbares Instrument des neuen Ideenaustausches in einer Demokratie und bewahrt auch unsere Identität und Geschichte“, so Basson. Das aber honoriert derzeit weder die Regierung noch das Publikum, das sich jetzt, da es Redefreiheit genießt, mit den gesellschaftlichen Widersprüchen nicht mehr auseinandersetzen will. Das neue Südafrika gibt sich als nichtantagonistische Gesellschaft. In der Präambel seiner neuen Verfassung verspricht Nelson Mandela Gleichheit und Brüderlichkeit. „But I love Heiner Müller“, so Basson. „He at least knew, that he was in very deep shit!“

Jost Pietzcker arbeitete als Regieassistent am Nico Malan Theater in Kapstadt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen