„Der Tumor heißt Berisha – und er muß raus“

■ Der Schriftsteller Fatos Lubonja glaubt nicht an den Neuanfang für Albanien

Fatos

Lubonja, 46, ist Schriftsteller. Von 1974 bis 1991 saß er wegen Agitation und Propaganda gegen das Regime im Gefängnis. Heute gibt er die Vierteljahresschrift „Perpjekja“ (Versuch) heraus. Die Zeitschrift soll, so Lubonja, einen kritischen Geist in die albanische Kultur hineintragen.

taz: An die morgigen Parlamentswahlen sind hohe Erwartungen geknüpft. Alles hofft auf eine Stabilisierung und einen Neuanfang, der dem Land den Weg zur Demokratie und Marktwirtschaft ebnet.

Fatos Lubonja: Das werden die Wahlen nicht bewirken. Die Ursache des Desasters in Albanien ist ein Konflikt zwischen Staatspräsident Berisha, der die Menschen bestohlen, Waffenlager geöffnet, das Land ins Chaos gestürzt hat, und dem Volk. Die Wahlen können diesen Konflikt nicht lösen.

Wenn Wahlen keine Stabilität bringen, was bleibt dann noch?

Albanien ist ein kranker Körper, in dem ein Tumor sitzt. Dieser Tumor heißt Berisha, und er muß herausgeschnitten werden. Erst dann wird sich der Körper Stück für Stück wiederbeleben. Diese Operation kann aber nur gelingen, wenn die Ergebnisse am Sonntag so klar zugunsten der jetzigen sozialistischen Opposition ausfallen, daß Berisha zum Rücktritt gezwungen ist. Das scheint im Augenblick unwahrscheinlich.

Es wird befürchtet, daß es nach der Wahl zu neuen Eskalationen von Gewalt kommen könnte. Wie ist diese Brutalität zu erklären?

Das hat historische Ursachen. Die albanische Geschichte ist gekennzeichnet durch ein mangelndes Verantwortungsbewußtsein, ja Gleichgültigkeit der Gemeinschaft gegenüber. Politiker haben das Land immer dann zerstört, wenn es dem Machterhalt diente. Das hat Berisha genauso getan, wie früher Enver Hodja. Dieselbe Verantwortungslosigkeit war auch während der jüngsten Revolte erkennbar: Die Aufständischen haben Krankenhäuser verwüstet und Bomben auf Schulen geworfen.

Das Mandat der Multinationalen Friedentruppe wurde bis August verlängert. Wie beurteilen Sie das Engagement des Westens?

Die Entsendung der Friedenstruppe war ein Fehler. Sie erfolgte, als sich Berisha durch die Öffnung der Waffenlager und Gefängnisse schon hoffnungslos diskreditiert hatte. Der Versuch des Westens, mit Soldaten die Lage im Land zu stabiliseren, hat nur zu noch mehr Korruption beigetragen. Es wurde die Chance vertan, die politische Szene in Albanien von den kriminellen Elementen der Partei Berishas zu befreien. Die Möglichkeit dazu wäre vorhanden gewesen, denn der Präsident war zu diesem Zeitpunkt ziemlich isoliert.

Was hätte der Westen stattdessen denn konkret tun sollen?

Er hätte deutlich den Rücktritt Berishas fordern und Druck ausüben müssen. Das aber hätte vorausgesetzt, zu verstehen, worin die Krankheit Albaniens besteht. Bei uns ging es nie um die Frage: Exkommunisten versus Demokraten. Der Westen aber hat immer geglaubt, daß die Sozialisten in Wahrheit doch nur alte Kommunisten sind, denen man nicht vertrauen kann. Doch die ehemaligen Kommunisten waren besser darauf vorbereitet, eine demokratische Wende einzuleiten, als diejenigen, die sich fälschlicherweise Demokraten nennen (Berisha ist Chef der „Demokraten – die Red.). So hat der Westen auf die falschen Leute gesetzt. Ein stabiles Albanien mit Berisha war ihnen wichtiger, als ein demokratisches. Nur wurde dabei übersehen, daß ein Albanien ohne Demokratie zwangsläufig instabil werden muß. Interview: Barbara Oertel