: Zittern wie vor der Dalton-Bande
■ Weil ihre Söhne den Ort tyrannisiert haben sollen, zog eine palästinensische Familie aus Wiesmoor nach Bremerhaven /Auch dort sitzt sie zwischen allen Stühlen
„Das wär doch aberwitzig, wenn die in Wiesmoor ihre Sozialhilfe bekommen und hier in Bremerhaven wohnen!“, sagt der Pressesprecher der Stadt Bremerhaven. Aberwitzig ist allerdings auch die Lage der palästinensischen Familie M., seit sie auf Druck der ostfriesischen Gemeinde Wiesmoor vor einer Woche nach Bremerhaven umzog. Drei ihrer Söhne sollen den Ort tyrannisiert haben.
In Bremerhaven hat Familie M. nun keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Denn Sozialhilfe bekommt man als Ausländer mit einer Aufenthaltsbefugnis nur in dem Bundesland, in dem diese Befugnis ausgesprochen wurde. Aber: Sozialhilfe bekommt man auch nur am Wohnort. Fazit: Die Familie bekommt nun weder in Bremerhaven noch aus Wiesmoor Geld.
Wie die siebenköpfige Familie in diese Zwickmühle hineingeriet, darüber streiten sich zur Zeit die Behörden in Bremerhaven mit denen im Landkreis Aurich. „Das war doch eine Nacht-und-Nebel-Aktion der Gemeinde Wiesmoor“, empört man sich in Bremerhaven: „Der Sozialarbeiter, der die hierher geschleust hat, der hätte eigentlich wissen müssen, in welche Lage er die Familie bringt“.
Gegen diese „Unterstellung“verwahrt man sich in Wiesmoor. Hans-Jürgen Holzenkemper, Leiter des Kreis-Sozialamtes in Aurich: „Die Familie ist freiwillig gegangen. Das kann ich beweisen. Die wollten schon 1996 zur erweiterten Familie nach Bremerhaven ziehen“. Holzenkemper bezweifelt, daß zur Rechtssituation das letzte Wort gesprochen sei: „Bekommen die das Geld nicht über das Asylbewerberleitungsgesetz?“Die Familie dürfe in Deutschland gehen, wohin sie wolle.
Beim Bremerhavener Magistrat ist man skeptisch, will inzwischen aber nicht mehr widersprechen, nachdem noch Mitte letzter Woche große Geschütze gegen die palästinensische Familie aufgefahren wurden. Man lasse es nicht zu, verlautbarte Oberbürgermeister Manfred Richter (FDP), daß Problemfälle „an unserer Stadtgrenze abgeladen werden“. Er drohte mit Ausweisung und Abschiebung in den Libanon – „Straftäter haben ihr Gastrecht verwirkt“. Die Familie M. hat aber in Deutschland eine unbeschränkte Aufenthaltsbefugnis.
Dabei war man in Bremerhaven der Familie zunächst selbstbewußt gegenübergetreten. Der Nordsee-Zeitung sagte der Leiter der Jugendgerichtshilfe, in Bremerhaven gäbe es ein Dutzend solch schwer- erziehbarer Jugendlicher – mit den drei auffälligen Jungs aus der palästinensischen Familie käme man auch noch zurecht. Davon will man nichts mehr wissen, seit der Medienrummel aus Wiesmoor nach Bremerhaven schwappte und beunruhigte Eltern und Schulleiter zum Telefon greifen ließen: Nein, diese Leute wolle man in Bremerhaven nicht haben, so Volkes Stimme.
Wer ist diese Familie M., um die ein Rummel gemacht wird, als sei sie die Daltons-Bande? Seit 1986 lebte sie in Wiesmoor, erst als Asylbewerber, später mit Aufenthaltsbefugnis. Die Familie wuchs mit den Jahren auf zehn Köpfe an. Der älteste Sohn ist heute sechzehn Jahre alt und sitzt seit zwei Wochen in U-Haft. Gemeinsam mit einem deutschen Freund soll er Kindern und Jugendlichen unter Androhung von Gewalt Geld abgenommen haben. Dito seine beiden Brüder, 12 und 13 Jahre alt. Die aber sind noch nicht strafmündig. Von vierzig Fällen ist die Rede, von einer Jugendbande, die sich um die drei palästinensischen Jungs gebildet habe.
Edeltraut Benson, Elternratsvorsitzende von Wiesmoor sagte, seit die drei Jungen „im Heranwachsen“seien, „terrorisieren sie unsere Kinder“. Als es dann zu einem ersten Vorfall an der Schule kam, rief sie zum Widerstand auf und 300 Leute kamen. Die Medien entdeckten den Fall „Jugendkriminalität in Wiesmoor“. Einen Tag später war die Familie weg und Wiesmoor in aller Munde. Darüber erschreckte der 12.000-Einwohner-Ort und nun wird beteuert, daß es in Wiesmoor weder Jugendbanden gebe noch Ausländerfeindlichkeit. „Ich gehe jetzt verstärkt auf die Ausländer hier zu“, sagt Edeltraut Benson, „damit sie nicht glauben, daß das gegen sie gerichtet ist“. Aber eine Verschärfung der Ausländerrechts möchte sie schon. „Alle Politiker, die brutale Gäste in Deutschland mehr schützen als uns Deutsche, fordere ich auf, daß die Gesetze geändert werden. Denn wenn unsere Kinder kaputtgehauen werden...“. Aus ganz Niedersachsen habe sie Anrufe bekommen, sagt sie: Alle klagten darüber, daß es bei ihnen mit den ausländischen Jugendbanden genauso schlimm sei. ritz
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