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Das überwiegende Primat der Politik

■ Auszug aus der Rede des US-Historikers Henry A. Turner

Auch einst ernstgenommene Theorien, die sowohl das Zustandekommen wie auch die Praxis des Dritten Reiches auf wirtschaftliche Ursachen zurückführten, haben ihre Glaubwürdigkeit durch die wissenschaftliche Forschung der letzten Jahre verloren. Die ausgeklügeltsten solcher Theorien hatten ihren Ursprung bekanntlich in der ehemaligen DDR. Der von dort stammenden sogenannten Monopolgruppentheorie zufolge war das, was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist, auf einen Kampf zurückzuführen, der angeblich hinter den Kulissen zwischen rivalisierenden Lagern von – monopolkapitalistischen – Unternehmen geführt wurde.

Die auch in der DDR erdachte Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) verkündete eine Verschmelzung von Wirtschaft und Staat im Dritten Reich zu einem einheitlichen Gesamtsystem, dessen Ziel es war, einen letzten verzweifelten Versuch zu machen, den unausweichlichen Untergang des Spätkapitalismus durch die Knechtung der Arbeiterklasse und die Ausbeutung von eroberten Ländern abzuwenden. (...) Die solchen Theorien zugrundeliegende Annahme eines Primats der Wirtschaft ist aufgrund der Forschungsergebnisse der letzten 30 Jahre unhaltbar geworden.

Dagegen überwiegt heute die Ansicht, daß im Verhältnis zwischen Unternehmertum und Nationalsozialismus ein weitgehendes Primat der Politik geherrscht hat. Damit soll nicht behauptet werden, daß die Unternehmer ohne Einfluß waren, sondern daß die entscheidenden Impulse vom politischen Bereich, nicht von der Seite der Wirtschaft, ausgingen. (...) Hitler und seine Regierung waren zwar auf die Wirtschaft angewiesen, um die materiellen Mittel zu bekommen, die für die Verfolgung ihrer Ziele unerläßlich waren. Um die Produktion dieser Mittel zu steigern, haben die Machthaber Gremien von Unternehmern mit weitgehender Autorität auf dem Gebiet der Wirtschaft ausgestattet.

Das Unternehmertum hatte jedoch keine Stimme in der Zielsetzung des NS-Regimes. Alle grundsätzlichen Entscheidungen wurden von einer politischen Führung gefällt, die die Wirtschaft als Werkzeug für die Verwirklichung von ideologisch bestimmten Zielen betrachtete. (...) Trotzdem stimmen Historiker heute darin überein, daß sich die deutschen Unternehmer schnell mit dem Dritten Reich abgefunden haben. Sie trauerten (...) der parlamentarischen Demokratie nicht nach. Nachdem Hitler seine Diktatur durchgesetzt hatte, fügten sich die Unternehmer willig.

Henry A. Turner ist Historiker an der Universität von Yale im US- Bundesstaat Connecticut

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