Warum, um Marxens und um Gottes Willen?

■ betr.: „Gipfelsturm und langer Marsch“, taz vom 24. 6. 97

Als ich vor mehr als 20 Jahren selbst im kältesten Winter zähneklappernd das Zentralorgan des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands (KBW) die Kommunistische Volkszeitung (KVZ) vor der Frühschicht am Werktore an das schaffende Volk anbringen wollte, da gab es ab und an mitleidige Kollegen, die meinten: „Mensch Junge, du stehst hier mitten in der Kälte. Und deine Bosse, die tun dich verarschen. Die wollen, daß du die Revolution voranbringst. Aber egal, ob das klappt oder nicht, auch deine Bosse werden Bosse bleiben!“

Wie recht doch dieser Kollege aus der Frühschicht hatte. Mein Boß hieß damals Joscha Schmierer, der den maoistischen KBW anführte. Und als das in die Hose ging, wurde diese K-Gruppe aufgelöst, und Joscha hat sich auf den langen alternativen Marsch zu den Gipfeln der Europapolitik empormillimetert.

[...] Das also ist übriggeblieben von unserem „Gipfelsturm und langen Marsch“? Hat der Kollege der Frühschicht letztendlich Recht behalten? Sollen wir uns verzwickte Gedanken machen, wie wir millimeterweise das Europa der Bosse zurechtfummeln. Damit das internationale Kapital noch ungehemmter, noch mehr dereguliert und liberalisiert uns in die großen, letzten Wirtschaftsschlachten hineinführt?

Warum, um Marxens- und um Gottes Willen, muß eine Abkehr vom linksradikalen Überschwang so oft in einem hemmungslosen Opportunismus verenden? Jetzt, wo es notwendiger denn je wäre, dem dreisten Kapital, auch in Europa, Paroli zu bieten und lebenswerte Alternativen zu entwickeln und zu leben. Weil der reale Sozialismus weltweit gescheitert ist, deswegen muß ich mich doch nicht auf die Seite des vorläufigen Gewinners, des großen Kapitals, stellen? Richard Pestermer, ehemaliges

Mitglied des KBW und ehemali-

ges Mitglied der Grünen