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Lustiges für Steuerzahler

„Wer immer es ist, den ihr hier sucht, ich bin es nicht“: Ein Dutzend Uraufführungen beim Big-Brecht-Fragmente-Spektakel im Berliner Ensemble  ■ Von Petra Kohse

Zugegeben, es ist verfrüht, mit den Feierlichkeiten zu Bertolt Brechts 100. Geburtstag am 10. Februar 1998 bereits in diesem Sommer anzufangen. Andererseits ist dieser Geburtstag wahrscheinlich das einzige, was die Leute vom Berliner Ensemble noch zusammenhält. Abgesehen von der gemeinsamen Lust am Untergang natürlich. Denn die Gewißheit, daß Claus Peymann seine BE- Amtszeit 1999 wohl mit einer komplett erneuerten Mannschaft beginnen wird, scheint das jetzige Team in einen nie geahnten Zustand heiterer Produktivität zu versetzen. So hat der Dramaturg Holger Teschke vor kurzem einen Einakter verfaßt, in dem Claus Peymann die Mauern des BE nach einem Fluch absucht und das Theater dabei niederreißt, an der Love Parade will das Theater mit einem Panzer teilnehmen, und beim „Brecht Fragmente“-Spektakel am letzten Wochenende war zum erstenmal in dieser Spielzeit am Schiffbauerdamm etwas los.

„Brecht Fragmente“: 12 dramatische Skizzen Brechts aus den Jahren 1917 bis 1956 wurden durch Bochumer und Berliner Regisseure und Regiestudenten an einem einzigen Abend an neun Plätzen auf dem Gelände des Berliner Ensembles uraufgeführt. Wobei während der Premiere am Freitag noch ein Zettel verteilt wurde, der die Uraufführung eines 13. Fragments ankündigte – „das einzige, das nicht genehmigt worden ist“. Die Brecht-Erben, fast hätte man sie vergessen! Jede Aufführung jedes einzelnen Fragments, das im kürzlich erschienenen 10. Band der großen kommentierten Brecht- Ausgabe abgedruckt ist, bedarf der Genehmigung. Eigentlich. Ein Dutzend immerhin wurde freigegeben, und das für eine Veranstaltung, bei der Brecht mit den Worten zitiert wird: „Wer immer es ist, den ihr hier sucht, ich bin es nicht.“

Tatsächlich erinnerten dann nicht nur die Inszenierungen, sondern auch die Texte selbst in keiner Weise an den bekannten BB. „Die Neandertaler“ (1927) etwa kommt daher wie die Mitschrift einer Performance von Christoph Schlingensief: „Führung dreier Mitglieder der herrschenden Klasse durch die Probleme der Jetztzeit: / Mehrwert / Klassenkampf / Ökonomische Anarchie / Nach jeder Vorführung schreien alle drei im Chor: So jenau wollen wir det jarnich wissen!“ Nicht Schlingensief aber inszenierte den Text, in dem es außerdem um das Missing link in der Entwicklung vom Affen zum Menschen geht, sondern Armin Petras, sehr schön, in einem Zirkuszelt.

Zwei vier Meter große Topfpflanzen und Polizeiorchestermitglieder flankieren den Eingang, ein kleinwüchsiger Schauspieler singt „Anneliese“ und rennt später mit einer Axt durch Pogo tanzende Neandertaler, während das Missing link in Außerirdischenmaske auftritt und der Schauspieler Axel Werner einer fliehenden Zuschauerin hinterhereilt: „Was'n los? Gefällt's Ihnen nicht?“

Als zweiter Akt wird auf dem Platz neben dem Zelt ein „documenta-Pavillon“ des Künstlers Fritz „Hackebeil“ Haarmann eröffnet, in dem – Brecht/Waigel/BE? – die Reste eines mehrfachen Waigelpuppenmassakers zu sehen sind. Erhängte, gegrillte oder zerquetschte Stoff- Theos, auf einen soll man Pfeile schießen mit dem Ruf: „Du bist schuld.“ Eine erst lustige, dann also reinigende Unternehmung, zu der auch ein Gästebuch ausliegt, in dem „ein Steuerzahler“ fragt: „Wie viele Millionen habt ihr Arschlöcher dafür gekriegt?“

Im Anschluß dann ins BE- Haupthaus. Leander Haußmann inszenierte winzige Szenenentwürfe Brechts von 1922 unter dem Titel „Bertolt Brechts Kolportagedramatik“, danach Schlingensief einen „Festakt“ mit Texten zu Rosa Luxemburg von 1926 und 1944. Dazwischen Bier und „Wildbratwurst“ auf dem Hof, wo, soviel Ordnung muß sein, eine sonore Lautsprecherstimme die Zuschauer auf die nächsten Inszenierungen hinweist. Petras, Haußmann, Schlingensief – mehr als vier, fünf Produktionen kann man an einem Abend nicht sehen, und nach einer erschütternd hilflosen Inszenierung von „Die Reisen des Glücksgotts“ (1945) durch die Regiestudentin Britta Geister beschloß ich, nett zu mir zu sein und auf sichere Nummern zu setzen.

Tatsächlich war auch der Rest des Abends ziemlich charmant. Sowohl Haußmanns sanftes Arrangement mit Billardtisch, Holzpferd und Akkordeonspielern als auch Schlingensief, der seine Laien-Darstellerriege durch Martin Wuttke, BE-Chefdramaturg Carl Hegemann, Volker Spengler und diverse Schleef-Schauspielerinnen in ihrem „Puntila“-Kostüm verstärkt hatte. Was schert der Text, solange man im Theater noch ein nettes Chaos bereitet bekommt! Insofern war es natürlich ganz falsch, daß irgendwann auf der Bühne einer rief: „Es ist alles verloren!“ Denn ließ sich durch diese Fragmente in puncto Brecht auch keine Erkenntnis gewinnen, so zeigte sich doch, daß man sich auch mit Brecht und sogar im Berliner Ensemble ganz gut unterhalten kann!

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