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Einmachgläser mit Wurst

■ Orgien, Orgien, wir wollen Orgien! Das "Atelier Van Lieshout" baut mobile Gehäuse für Partynomaden, der Kölnische Kunstverein stellt die Container jetzt aus

Der Wohnwagen ist Camper- Idyll und bewegliches Rotlichtviertel in einem. Hier, inmitten zu enger Betten, zu leistungsschwacher Herdplatten und zu bunter Gardinen, wurde der Sticküberzug für die Klopapierrolle erfunden. Aber auch der amerikanische Traum des unbegrenzten Nomadismus genährt. Von dieser Ambivalenz zwischen Platzangst, Erotik und Reisefieber lebt der holländische Künstler Joep van Lieshout.

Außerhalb des Kölnischen Kunstvereins parkte vor Ausstellungsbeginn ein freundlich gelber Karavan mit knallrotem Interieur und flauschiger Lammfellverkleidung: das „Modular Mobile Home“.

Schon bedrohlicher sind dagegen Arbeiten wie „Metzgerblock“, „Fleischhänger“ oder „Leiter zum Schlachten“ im Innern des Kunstvereins. Wohnen hier Serienmörder oder Spießbürger? Oder beide? Van Lieshout hat seine Installation „Hausfreund“ betitelt – ein harmloser Name für ein Ambiente, in dem Massaker genauso möglich zu sein scheinen wie eine schnelle Nummer. Aber der Reihe nach.

Der 34jährige van Lieshout beschloß irgendwann, seine Künstlerexistenz zu professionalisieren. Mit Bierkästen fing es um 1986 an. Die ließen sich platzsparend stapeln, genauso wie etwa Gehwegplatten oder Teppichfliesen. Van Lieshout entdeckte den Reiz von Modulsystemen, und fortan produzierte er Möbelprogramme, Container und begleitende Handbücher mit Anleitungen zum Selberbauen – alles in Standardfarben und Standardmaßen, alles abwaschbar. Er nannte sich nun „Atelier Van Lieshout“.

Als richtiger Unternehmer kam der Künstler bald mit Architekten wie Rem Koolhaas in Kontakt. Auch Koolhaas unterzeichnet seine Hervorbringungen nicht mit dem eigenen Namen, sondern – unpersönlicher – mit dem Bürosiegel „Office für Metropolitan Architecture“, kurz: OMA. Van Lieshout baute für OMA wiederum eine seiner „Bar-units“ im Kulturbau „Grand Palais“ im französischen Lille: glutrot, aus einem Guß gefertigt, ein schlichter, funktionaler Riegel, der nur die Aufgabe hat, Bargäste vom Barkeeper zu trennen. Billig, nonchalant, genialisch hingehuscht. Ohnehin ist die Funktionsfähigkeit seiner Objekte für van Lieshout bedeutender als ihre künstlerische Präzision im Detail. Die Metropolen werden sich in Zukunft ohnehin keine prätentiösen Prachtpaläste mehr leisten können. Ebenso wie Koolhaas' Wellpappe- oder Sichtbetonhäuser zeigen van Lieshouts Fiberglascontainer schon mal, wie's anders gehen könnte.

Eingangs der Installation im Kunstverein lockt nun ein graublauer Wohnwagen mit weit ausladender Ausbuchtung an seiner Stirnseite: das „Bias-o-Drôme“. Im innern türkisfarbene Schwüle, ein Bett (pinkfarben), eine Minibar, Kissen, Lammfell auch hier. Ein Radio dudelt im bilderlosen Schlafcontainer. Puff-Atmosphäre. Der Wohnwagen soll seinen Zweck an kunstfremden Orten tatsächlich schon erfüllt haben.

Im Zentrum der Ausstellung dann die von van Lieshout großzügig bemessene Schlacht-Einheit – im Gegensatz zu den introvertierten Zellen und Containern auf offenem Grundriß errichtet, aber wohl anders, als die Baumeister der genauso „offenen“ Moderne sich dies gewünscht hätten. An senfgelben und roten Wandpaneelen entlang geht es weiter zu einer Kammer des Grauens mit allem Drum und Dran. Waschbecken. Flachhänger, ein Sterilisierofen – sogar an das Räuchern der geschlachteten Tiere wurde gedacht. Seltsam. Auch Einmachgläser mit Wurst gibt es. Legt man Wurst ein? Alles etwas vergammelt hier. Fotos von zerteilten Schweinen hängen an der Wand.

Man sieht, was van Lieshout von der amerikanischen Künstlerin und documenta-Teilnehmerin Andrea Zittel unterscheidet. Deren „Escape Vehicles“ und „Living Units“ sind zwar auch mobile Wohneinheiten, Reaktionen auf den globalen Mobilitätsdruck und die neuen Kommunikationsmedien. Aber Zittels Container machen aus Nomadismus Luxus: lauter schicke Einzimmersalons, ohne zweideutige Bezüge. Zittel bietet Schutz und Unterschlupf. Van Lieshout sperrt ein und schlachtet. Er entwirft auch Waffen wie die „Pistolé Poignée Américaine“, eine Mischung aus Schlagring und Revolver.

Die urbane Sphäre als Ort des Überlebenskampfes: Wirtschaftlich scheint van Lieshout mit seinen Container-Billigangeboten, die ausdrücklich auch außerhalb der Galerien eingesetzt werden, ein lukratives Marktsegment besetzen zu wollen. Jeder Wunsch wird befriedigt, auch wenn gar nichts gewünscht wird. Van Lieshout baut Wunschmaschinen. Die Ausschweifungen kommen dann schon von selbst. Holger Liebs

Atelier Van Lieshout: „Hausfreund“. Bis 12.7. im Kölnischen Kunstverein.

Ein Katalog erscheint Mitte Juli (50 Mark in der Ausstellung,

58 Mark im Buchhandel)

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