Bayer platzt das Rohr

Chemie entwichen. Taiwan alarmiert, da Bayer dort ähnliche Anlage baut. Umweltausgaben sinken  ■ Von Ulrike Fokken

Berlin (taz) – Ein Störfall kommt der Chemieindustrie immer ungelegen. Er ist nicht nur teuer, sondern lenkt das öffentliche Interesse auf den Konzern. Ganz besonders ungelegen kommt der Bayer AG, daß mindestens zwölf Tonnen Toluylendiamin in der Nacht zum Dienstag aus dem Bayer-Werk in Dormagen ausgetreten sind. Denn diese Anlage haben die Vorstände als besonders sichere Referenzanlage für ein Werk in Taiwan auserkoren. Wegen der Sicherheit hat die Regierung in Taipeh die Fabrik schon genehmigt, die Lokalpolitiker in Taichung sind davon jedoch noch nicht überzeugt und blockieren den Bau.

Die Deutschen hatten den Taiwanern – nach Recherchen der „Coordination gegen die Bayer- Gefahren“ – nämlich verschwiegen, daß sie dort krebserregende Stoffe wie den Toluol-Abkömmling Toluylendiamin oder das in Bhopal ausgetretene Phosgen produzieren wollen. Erst die taiwanische Bürgerinitiative Anti-Bayer Action Union veröffentlichte die Gefahren und organisierte Demonstrationen mit mehreren tausend Anwohnern. Seitdem wartet Bayer auf die Erlaubnis für den Bau, der schon vor zehn Monaten hätte beginnen sollen.

Die zwölf Tonnen Toluylendiamin sind aus einem „geplatzten Rohr“ entwichen, wie ein Bayer- Sprecher gestern sagte. Der eigentlich flüssige Stoff werde mit großem Druck durch kilometerlange Rohre über das Werksgelände in Dormagen gepreßt. Nach bisherigen Erkenntnissen der Werkstechniker gab es Dienstag nacht jedoch einen Überdruck.

Die farblose Chemikalie sei durch den hohen Druck zerstäubt und wie „ein staubiger Sahararegen“ niedergegangen. Beim Staub blieb es nicht, da Toluylendiamin harzig ist. Die krebserregende Chemikalie verklebte Autos auf dem Werksparkplatz und verunreinigte eine halboffene Halle, aus der das Rohr nach draußen führte.

„Deswegen war es ja auch kein Störfall im juristischen Sinn“, sagte ein Sprecher von Bayer. Solange kein Mensch verletzt würde und lediglich das Unternehmen zu Schaden käme, handele es sich nur um einen „Produktaustritt“. Wie teuer dieser wird, wußte Bayer gestern noch nicht. Die Produktion in dem Teil der Anlage wird einige Tage stilliegen.

Toluylendiamin ist ein Vorprodukt für Toluoldiisocyanat (TDI). Das wiederum braucht Bayer für die Kunststoffproduktion, in der das Unternehmen zu den Weltmarktführern gehört. Die Kunststoffproduktion ist in den boomenden Märkten Asiens besonders lukrativ. Denn dort wird der Bedarf an Plasten und Elasten in den kommenden Jahren enorm sein. Bayer plant daher seit rund zwei Jahren ein TDI-Werk in der Nähe von Taichung auf Taiwan.

Die dort günstigen Personal- und Umweltschutzkosten sind bei der Herstellung von Massenkunststoffen unerheblich. Eine Tonne Kunststoff kostet Bayer in Deutschland rund 1.400 Mark. Die an der Produktion beteiligten Arbeitnehmer kosten Bayer nach eigenen Angaben 30 Mark, der Umweltschutz 50 Mark pro Tonne. Bayers Investitionen in den Umweltschutz sinken zudem beständig. Kurz bevor bei Bayer das Rohr platzte, traf sich Vorstandsmitglied Udo Oels mit Journalisten zum Abendbrot. Dort stellte er ihnen den Konzernumweltbericht 1996 vor. In gleichem Maße wie sich die Bevölkerung nicht mehr für den Umweltschutz interessiere, sondern sich um den Erhalt des Arbeitsplatzes sorge, sagte Oels, würden auch die Investitionen von Bayer in den Umweltschutz sinken. Seit 1990 habe das Unternehmen seine Investitionen auf dem Sektor etwa halbiert. Im vergangenen Jahr hat Bayer weltweit 384 Millionen Mark für den Umweltschutz ausgegeben.