■ Vorschlag: Harsches Schürfen im Schroffen – „Seacoal“ im fsk
Nachts werden Furchen in den steinigen Sandstreifen gezogen. Bei Ebbe und dem Licht einer Petroleumfunzel. Wenn dann die Flut kommt, füllen sich mit etwas Glück die ausgehobenen Furchen mit Schwemmkohle. Das Kohlesammeln nach dem Zufallsprinzip, als wäre die nordenglische Küste der Klondyke, hat an der Küste von Northumberland eine lange Tradition. Zumindest so lange wie der industrielle Tagebau in der Region, dessen Abfallprodukt es ist.
Zwei Jahre lebten die Filmemacher des „Amber Kollektivs“ unter den Leuten, die man hier seacoaler nennt. Drehten in absichtsvoller Verblendung von Dokudramatischem und Fiktionalem eine knapp abendfüllende Episode aus dem Alltag der Kohle-Recycler. Mischten professionelle Darsteller mit Strandbewohnern, die sich selbst spielen. Körnige Nahaufnahmen wecheln mit langen Beobachtungen mühseligen Sandschürfens.
„Amber“ gründeten sich 1968 als lose Gruppe von Film- und Fotoabsolventen der London Filmschool. Nichtkommerzieller Vertrieb, unabhängige Produktion bildeten den Rahmen, working class people rund um Newcastle waren das Thema der meisten Produktionen. „Sea Coal“ ist eine schroffe Geschichte zwischen Gezeitenwechsel und sozialer Anklage. Noch schürfen die coaler per Gewohnheitsrecht, nur geduldet von dem National Coal Board und den örtlichen Minen. Ihre Zeit läuft ab. Der Strand ist bereits verkauft, und die campierenden Kohleschürfer sind unerwünscht.
In den schäbigen Wohnwagen herrscht resignative Verdrängung. Morgen ein neues Pferd kaufen, das das schwere Fuhrwerk über den holprigen Strand und bis ins knietiefe Wasser zieht. Heute erst mal die rußigen Hände, Klamotten und das verschwiemelte Gesicht säubern. Übermorgen vielleicht an morgen denken. Vor allem Amber Styles als „Betty“, eine abgehärtete, einsilbig verbissene Gestalt aus den Kabinetten des Mr. Loach, rettet den Film vor bloß agitatorischem Zweckwerk. Seltsam archaisch sieht man sie am Ende ins Zeitlose entgleiten. Den Pferdehalfter in der Hand, den Kopf vorausgereckt und den Blick auf einen Punkt hinter der Wasserscheide geheftet. Gudrun Holz
„Sea Coal“, Ab heute im fsk, Segitzdamm 2
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